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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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erhalten, bei anderen ist der Dachstuhl rußig
oder das Obergeschoss fehlt, als hätte es jemand mit einer Säge abgetrennt.
Dann wieder auf Hunderte Meter Reihen aus drei-, viergeschossigen Mietshäusern
hinter Vorgärten, deren Rasen in der Trockenheit gelb geworden sind.
    Nur selten hängt noch irgendwo eine Hausnummer an der Wand. Sobald
er ein Schild entdeckt hat, versucht der Oberinspektor, die nummernlosen
Eingänge danach zu verfolgen, doch mit all den Trümmerhaufen ist es schwierig,
die Zahl der Häuser abzuschätzen, die sie passieren. Am Ende hätte er sich die
Mühe sparen können: Eine lange Reihe Mietshäuser zur Rechten, drei Geschosse,
intaktes Dach, Backstein, Balkons – und an jedem Hauseingang ordentlich eine
Hausnummer.
    »Man kann in Hamburg schlechter wohnen«, sagt Stave und bedeutet
MacDonald, am Bordstein anzuhalten.
    »Trotzdem ist der Junge ausgerückt«, antwortet der Lieutenant.
    Klingelschilder am Eingang, wie üblich viel mehr als
früher. Papierstreifen mit hingekritzelten Namen und Geburtsdaten, kleine
Lebenszeichen der Davongekommenen, der Ausgebombten, die irgendwo untergeschlüpft
sind.
    Der Oberinspektor entdeckt ein Messingschild: »Greta Boesel, 2. Stock, rechts.« Wohnte also schon vor den Bombennächten hier. Daneben eine
Pappkarte, herausgezogen aus einer Hängeregistratur, verblasste Aktenzeichen,
darüber in ungelenker Schrift: »Walter Kümmel; Adolf Winkelmann.«
    »Walter Kümmel«, murmelt Stave, »der Name kommt mir bekannt vor.«
    »Einer Ihrer Kunden?«
    Er schüttelt bloß den Kopf.
    Sie drücken den Klingelknopf, warten. Nichts. Versuchen es noch
einmal, obwohl Stave längst sicher ist, dass die oben, wie alle anderen, die
Klingelsicherung herausgedreht haben, um Strom zu sparen. Gehört sich aber so,
Höflichkeit. Dann fasst er an die Eingangstür, die knarzend aufspringt.
    Langsam geht er voran, die Treppe hoch, bei jeder Stufe wird er
langsamer. Was soll er der Tante sagen? Ist immer wieder schwer, irgendjemanden
über den Tod eines Angehörigen zu informieren. Und danach gleich noch Fragen zu
stellen. Er bemerkt den Blick, den der Lieutenant ihm zuwirft. Stave ist so in
Gedanken gewesen, dass er nicht mehr auf sein Hinken geachtet hat. Vielleicht
ist das MacDonald bis jetzt noch nie aufgefallen. Beide schweigen, bis sie vor
einer Wohnungstür stehen, die in alter, blasiger Ölfarbe eierschalenweiß
gestrichen ist.
    Der Oberinspektor holt tief Luft und klopft an.
    Gedämpfte Musik, eine Frauenstimme, irgendein sentimentales Lied,
das schon in der braunen Zeit populär war. Muss aus dem Radio kommen, der NWDR
sendet Schlager um diese Zeit. So viel Strom müssen sie hier also doch nicht
sparen. Endlich Schritte hinter der Tür, Geräusche am Türschloss. Niemand,
denkt Stave, der vorsichtig durch die geschlossene Tür fragt, wer dort sei.
Niemand, der wenigstens noch eine Kette vorgespannt hält. Selbstbewusst,
leichtsinnig – oder sie erwartet jemanden. Vielleicht den Jungen. Kann ja
heiter werden.
    Dann die Überraschung: Stave hat nach der Angabe, dass es sich um
eine verwitwete Tante handele, unwillkürlich an eine ältere, verhärmte Frau
gedacht. Doch ihm öffnet eine Brünette, vielleicht 40 Jahre alt, mit langen,
gewellten Haaren, Rehaugen, die ihre üppigen Formen mit einem leichten,
cremefarbenen Kleid noch betont, das aus Fallschirmseide genäht ist. Ihre Nase
ist klein, sie hat ihre Lippen leuchtend rot bemalt, ein harter Zug umrahmt das
kräftige Kinn.
    »Sie wünschen?« Die raue Stimme einer langjährigen Raucherin.
    »Kriminalpolizei«, sagt Stave, weil ihm die Sätze, die er sich eben
noch auf der Treppe zurechtgelegt hat, jetzt lächerlich scheinen. Er zeigt
seinen Ausweis. »Es geht um den Jungen, den Sie vermisst gemeldet haben.«
    »Hat Adolf etwas ausgefressen?« Noch während sie fragt, öffnet Greta
Boesel die Wohnungstür weit und lässt sie hinein. Sollen ja die Nachbarn nichts
hören.
    Ein Flur mit einigen Nägeln in der Wand als Garderobenhaken,
zerkratzter Holzfußboden, die Hälfte des engen Raumes zugestellt mit einem
Stapel hölzerner Kisten. Teekisten aus Indien, wie Stave verblüfft feststellt,
als er den Aufdruck liest. Es duftet nicht nach Tee – wer weiß, was da drin
ist.
    Sie werden durch den Flur geführt bis in ein Wohnzimmer. Ein altes,
bequem aussehendes Sofa, ein massiger Tisch, ein ebensolcher Schrank, eine
Vitrine, ein großes Röhrenradio, vielleicht aus dem letzten Vorkriegsjahr – und
wieder überall Kisten

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