Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
Vom Netzwerk:
feindselig, »und der ganze
Schlamassel endlich vorbei war, holte sich mein Mann eine Lungenentzündung und
dann den Tod. Ich habe ihm zum Glück all die Jahre lang zugearbeitet, die
Bücher geführt, Frachtpapiere ausgestellt, Zollformalitäten geklärt. Das hat
mir geholfen, den Laden zusammenzuhalten.«
    Stave denkt an die wenigen Autos, an das rationierte Benzin, an die
zerstörten Fabriken und blockierten Straßen. Ungläubig blickt er die Frau an.
»Womit fahren Sie? Und was transportieren Sie?«
    »Ich habe drei Lastwagen, zwei Vorkriegsmodelle, einen von der Wehrmacht.
Gehen ständig kaputt. Die schicke ich mit Fahrern durch die Westzonen. Ich
nehme Waren, die man bei den Engländern relativ leicht bekommt, vor allem Tee
und John Players. Die tausche ich an der Mosel gegen Wein oder bei den Amis in
Frankfurt oder Nürnberg gegen Schokolade oder Corned Beef. Ich nehme nur teure
Waren, sonst lohnen sich die Touren nicht. Wenn mein Fahrer irgendwo bei einem
Bauern übernachten muss, kostet mich das mindestens 100 Reichsmark oder einige
Packungen Zigaretten.«
    »Und wie kommen Sie an das Benzin für Ihre Fahrten?«
    Sie zuckt die Achseln, lächelt. »Gehört diese Frage zu Ihren
Ermittlungen, Herr Oberinspektor? Oder darf ich das als Betriebsgeheimnis für
mich behalten?«
    Stave ist sicher, dass mindestens die Hälfte aller Aktivitäten von
Greta Boesel illegal ist: Verstoß gegen Bewirtschaftungsgesetze, Schmuggel,
vielleicht auch Bestechung. Andererseits: Wie hätte sie sonst weitermachen
sollen? Widerwillig bewundert er diese Frau.
    »Wie ist Adolf Winkelmann bei Ihnen untergekommen?«, fragt er.
    »Er ist der Sohn meiner Schwester. Sie und ihr Mann sind 1943
gestorben.« Wieder wirft sie MacDonald einen Blick zu, abwartend, vorsichtig.
Doch der Lieutenant sieht sie bloß höflich an, also fährt sie fort. »Er ist zu
uns gekommen, gab sonst niemanden mehr in der Familie. Ich hatte vorher kein
besonders enges Verhältnis zu meiner Schwester und auch nicht zu deren Bengel.
Aber mein Gatte sagte, dass wir ihn halt nehmen sollten. Als Nachfolger im
Geschäft aufbauen.«
    »Sie selbst sind kinderlos?«
    Sie bläst nur den Rauch ihrer Zigarette in die Luft, drückt den
Stummel in einem Aschenbecher aus, zündet sich eine neue John Players an. Da
vergeht ein kleines Vermögen in blauem Dunst, denkt Stave. Das
Transportunternehmen muss sich lohnen.
    »Adolf ist ein schwieriger Junge. War ein schwieriger Junge«,
korrigiert Greta Boesel sich. »Keine Leuchte in der Schule, faul, frech. Dabei
hat er was im Kopf. Fix im Rechnen, konnte auch gut reden. Konnte zumindest
lügen, dass der Goebbels noch was von ihm lernen könnte.«
    »War er in der Partei?«
    Sie lacht. »Pimpf und HJ, wie alle. Mein Mann war in der Partei,
aber nur, damit die Geschäfte liefen. Wir waren nicht so dicke mit den Braunen – nicht so wie meine Schwester und mein Schwager. Die waren
Hundertfünfzigprozentige.«
    »Und nach dem Krieg?«
    »Wurde es nicht besser mit ihm. Bei der HJ musste er wenigstens
regelmäßig erscheinen: Appelle, Umzüge, Übungen, so etwas. 1945 war damit
Schluss. Seither trieb er sich mit noch viel üblerem Gesindel herum. Ein
Nachbar hat mir mal im Vertrauen gesagt, er habe Adolf mit Bahnhofsmädchen,
Kohlenklauern und ein paar polnischen DPs gesehen. Kann ich nichts zu sagen, er
hat diese Leute jedenfalls nie hier hochgebracht. Aber dass er ein
Herumstreuner war, das ist mal sicher.«
    »Hat er für Ihre Firma gearbeitet?« Stave denkt an die Packung Lucky
Strike, die sie bei dem toten Jungen gefunden haben.
    »Selten genug. Manchmal hat er ein paar Sachen auf- oder abgeladen.
Aber ich konnte mich nie drauf verlassen, dass er zu einer bestimmten Zeit da
war und mit angepackt hat.«
    »Für mich arbeitet er etwas zuverlässiger.« Ein Mann steht plötzlich
in der Balkontür: Ende vierzig, hager, aber mit breiten Schultern, schmales
Raubvogelgesicht, der Rücken der langen Nase nach unten gebogen von einem alten
Bruch, sodass sie an einen Hakenschnabel erinnert, graue Augen,
millimeterkurzes Haar unbestimmbarer Farbe, ein heller, leichter Leinenanzug,
Vorkriegsware, gut erhalten. »Kümmel«, stellt er sich vor und streckt eine
breite, vernarbte Hand aus, »Walter Kümmel.«
    »Mein Verlobter«, ergänzt Greta Boesel, zum ersten Mal verlegen,
seit Stave dort ist.
    Der Oberinspektor denkt an Anna. Würde er sie Fremden als »Verlobte«
vorstellen? Würde sie sich das überhaupt gefallen lassen? Dämliche

Weitere Kostenlose Bücher