Schieber
Offiziere
der Besatzungsmacht. Die zahlen für die alten Schätze Spottpreise: Reichsmark,
die sie bündelweise gegen ihre Pfundnoten tauschen, oder Zigaretten und
Schokolade aus ihren Rationen. Für Deutsche jedoch sind es kleine Vermögen – Anna
hält sich damit seit zwei Jahren am Leben.
Sie öffnet den Koffer und holt eine kleine Uhr heraus, wie sie
früher auf Anrichten standen, ein unterarmhohes Gebilde aus dunklem Holz und
Messing und einem großen, runden Zifferblatt. Der Offizier nickt, sie lässt die
Uhr wieder im Koffer verschwinden und übergibt diesen dem Captain. Der zieht
einen Stapel Reichsmarkscheine hervor und drückt ihn ihr in die Hand. Ein
lässiger Gruß mit drei Fingern am Mützenrand, halb höflich, halb spöttisch,
bevor er sich umdreht und im Garrison Theatre verschwindet. Anna von
Veckinhausen atmet durch.
»Kriminalpolizei!«, sagt Stave halblaut und tritt aus dem Schatten
hervor.
Sie fährt zusammen, wendet sich um, lächelt dann, erleichtert und
verliebt.
Stave überreicht ihr die Rosen. »Herzlichen Glückwunsch zum
Geburtstag.«
Sie umarmt ihn, küsst ihn gar kurz – mitten auf der Straße, was ihn
verlegen macht. Könnte ein Kollege sehen. »Das ist mein erstes
Geburtstagsgeschenk seit drei Jahren!«, ruft sie.
Stave fragt sich kurz, wer ihr 1944 ein Geschenk gemacht haben
könnte, verscheucht diesen Gedanken aber schnell. »Ich habe noch eines«,
flüstert er. »Die Schulzes von unten sind in ihren Schrebergarten gefahren.«
»Du hast keine Nachbarn heute Abend?«
»Und heute Nacht.«
Sie hakt sich bei ihm unter. »Mein Glückstag.«
»Vielleicht kommt heute Abend sogar ein bisschen Wind auf. Wir
sperren die Balkontür auf und lassen uns kühlen.«
»Wir werden es nötig haben«, erwidert sie und blickt ihn an.
Stave spürt, dass ihm das Blut ins Gesicht schießt. »Hast Du ein
gutes Geschäft gemacht?«, fragt er, um das Thema zu wechseln.
»400 Reichsmark.«
Der Oberinspektor schnalzt mit der Zunge. »Zwei Pfund Butter auf dem
Schwarzmarkt, ungefähr.«
»Ein guter Preis für eine alte Uhr, die ich nur ein wenig polieren
musste. Das Uhrwerk hat noch tadellos funktioniert. Ein Wunder, eigentlich: Ich
habe sie in Rothenburgsort gefunden. Ein ganzes Haus ist kollabiert, vier, fünf
Stockwerke hoch, schätze ich. Brandspuren. Schnee, Regen und Hitze der letzten
zwei Jahre haben ihr nichts ausgemacht. Ich räumte bloß ein paar Ziegel
beiseite – und die Uhr lag inmitten der Zerstörung, als hätte sie dort jemand
vorsichtig abgelegt. Sogar der Schlüssel, mit dem man sie aufzieht, hing noch
an einem Haken im Innern des Gehäuses. Ich habe ihn eingesteckt, gedreht – und
die Uhr tickte noch in den Ruinen los! Das kam mir so laut vor, dass ich mit
meiner Beute rasch davongegangen bin. Aber ich werde mich dort noch einmal
umsehen.«
»Irgendwann wird man dich erwischen und verhaften.«
»Ich habe ja gute Kontakte zur Polizei!« Sie lacht. »Lass uns nicht
die Straßenbahn nehmen, sondern bis zu dir gehen«, bittet sie. »Ich möchte bei
dir untergehakt sein, die Sonne auf dem Gesicht spüren und mich freuen, dass
ich noch lebe.«
Mit Anna an seiner Seite glänzt die Stadt plötzlich: Holunderbüsche
am Straßenrand und zwischen den Trümmerbergen, weiße und blassgelbe
Blüteninseln im Grau und Braun der Stadt. Ihr fruchtiger Duft zwischen den
Mauern. Einige laute Bengels, die barfuß an ihnen vorbeirennen, auf dem Weg zu
einem Freibad oder einem der Kanäle, die zur Alster strömen. Zwei Mädchen, die
sich ein Eis teilen und abwechselnd daran lecken, langsam, mit geschlossenen
Augen. Zwei Alte, sie und er gebeugt, doch Hand in Hand wie ein junges Paar.
Stave möchte schreien vor Glück. Und zugleich schnürt ihm Trauer die
Kehle zu, weil er an die Menschen denkt, die dieses Frühjahr nicht mehr
erleben. Nein, korrigiert er sich im Geiste, nicht Trauer. Scham. Er schämt
sich, weil er den köstlichen Frieden genießen darf. Womit habe ich dieses Glück
verdient? Er kennt die Antwort längst, hat tausendmal über sie gegrübelt, seit
ihm 1943 eine Fliegerbombe die Frau genommen hat, er jedoch davongekommen ist.
Er hat dieses Glück nicht verdient – es ist bloß ein blinder Zufall, eine
Nachlässigkeit des Schicksals, vielleicht auch nur ein übler Scherz eines
Todesgottes, der Zehntausende fällt, aber den einen stehen lässt.
Mach wenigstens was aus diesem Zufall, denkt Stave. Anna. Sein Sohn
Karl. Die Verbrecher, die er jagt. Es gibt genug Sachen, die ich in
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