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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Zukunft
richtig machen muss. Den Mörder des Jungen verhaften zum Beispiel.
    Obwohl er sich vorgenommen hat, seiner Geliebten nicht ausgerechnet
an deren Geburtstag Geschichten von Verbrechen zu erzählen, bricht es nun doch
aus ihm heraus. Während der Stunde, die sie durch die Straßen schlendern,
erzählt er ihr von Adolf Winkelmann und dem Blindgänger, von Greta Boesel und
ihrem Verlobten, von Zigarettenpackungen unter Jungenhosen und von leeren
Wänden ohne ein einziges Familienfoto.
    »Manchmal verliert man halt alles«, sagt Anna von Veckinhausen nur
und blickt ihn nicht an.
    Stave wird verlegen, weil ihm einfällt, dass er auch bei ihr noch
nie ein Familienbild gesehen hat. »Es sollte kein Vorwurf sein«, versichert er
eilig.
    Sie wendet sich ihm zu und lächelt. »Manchmal gewinnt man auch
alles.«
    Schließlich stehen sie vor dem Mietshaus Ahrensburger
Straße 93. Seine Wohnung liegt im vierten Stock. Stave hat versucht, sie
schöner zu machen, seit er Anna kennengelernt hat: Die uralten Tapeten, an
vielen Stellen schon abgeblättert, hat er an einem Samstag abgekratzt. Dann hat
er sich auf dem Schwarzmarkt Ölfarbe besorgt, Kriegsware, der Aufschrift nach
wahrscheinlich von einer Werft. Weiß, wie man früher Ozeandampfer strich. Und
leuchtendes Gelb, vielleicht gedacht für Warnschilder und Aufschriften. Er hat
die beiden Eimer zu einem Blassgelb zusammengemischt und damit die nackten
Wände bedeckt. Ein bisschen blasig an einigen Stellen, auch nicht überall
gleichmäßig – aber immerhin: Hell wirkt seine Wohnung nun und doppelt so groß
wie früher, vor allem in diesem Sommerlicht.
    Anna hat es gefallen. Bloß über die Blumen, die er in einem leeren
Einmachglas auf der Fensterbank im Wohnzimmer präsentierte, hat sie bei ihrem
ersten Besuch gelacht – und bei ihrem zweiten eine schlichte, weiße
Porzellanvase mitgebracht, die sie auf einem ihrer Beutezüge gefunden hatte.
    Nun komplimentiert er sie auf den Balkon, stellt sich dann in seine
winzige Küche und feuert die Brennhexe an. Beim Schlachter hat er Wurst auf Marken
bekommen. Nicht gerade eine Delikatesse: Zehn Prozent Walfleisch und fünf
Prozent Knochenmehl sind ihr beigemischt, offiziell zumindest. Tatsächlich
wahrscheinlich mehr. Dazu erstand er Wurstbrühe – das Wasser, in dem Würste
gebrüht hatten, gibt es markenfrei und billig. Schwimmt wenigstens etwas Fett
drin. Zwei wässrige Kartoffeln, Lauch und Brennnesseln als Suppengewürz, ein
paar Grießklößchen, Zementbrocken genannt. Bröseliges Brot aus Weizen-,
Gersten-, Maismehl – und ein wenig Kalkstaub, um das Ganze zu strecken. Wasser,
immerhin in zwei Sektkelchen, die ebenfalls aus Annas Funden stammen.
    Stave erinnert sich an das, was er als Kind an solchen heißen
Sommertagen aß: Sauerkirschsuppe mit Zimtstangen. Fliederbeersuppe mit Äpfeln
und Klößen. Wird noch dauern, bis ich das wieder schmecken werde.
    Er balanciert das karge Mahl vorsichtig auf einem Tablett bis zum
Balkon.
    »Du bist ein Zauberer!«, ruft Anna – und Stave braucht einen Moment,
um zu erkennen, dass das nicht ironisch gemeint ist.
    Sie plaudern über Belangloses, lassen die Gläser klirren, als
tränken sie Champagner, zelebrieren jeden Schluck, jeden Bissen. Die Sonne
taucht am Horizont ein, überflutet Häuser und Ruinen mit rotem Schein, als
lodere irgendwo ein letztes Feuer.
    »Eine Kleinigkeit habe ich noch«, sagt Stave und verschwindet noch
einmal in der Küche. Dann kehrt er mit einer Tafel amerikanischer Schokolade
zurück.
    Anna blickt abwechselnd ihn an und die Tafel, die er ihr wie ein
Schmuckstück auf einem Kissen präsentiert. »Herr Oberinspektor«, flüstert sie
schließlich, »Sie überraschen mich. Das bekommt man nur aus verbotenen
Quellen.«
    Er lacht und schüttelt den Kopf. »Die erlaubteste Quelle von allen:
ein Staatsanwalt. Doktor Ehrlich, er hat gute Kontakte nach England.«
     »Und du hast gute Kontakte
zum Staatsanwalt«, erwidert sie und lächelt.
    Später liegt Anna neben ihm im Bett, nackt und erschöpft
von der Liebe. Sie seufzt leise im Schlaf. Stave nimmt sie vorsichtig in den
Arm, dann wendet er den Kopf und guckt aus dem offenen Fenster, durch das doch
kein Lufthauch weht. Noch immer ist das nächtliche Hamburg fast so schwarz wie
zu Zeiten der Verdunkelung. Aber es ist nicht mehr still. Er hört eine Frau
lachen. Musik aus einem Grammophon, ein Walzer, leise, ziemlich eierig – die
Platte muss gewellt sein, denkt er. Kreischende Katzen, liebestoll oder

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