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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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waren so wütend, weil er eine Deutsche
mit nach Hause bringen wollte, dass sie ihn aus eben jenem Haus geworfen haben.
Jetzt hat er zwar eine frischgebackene Ehefrau, aber keine Eltern und keine
Geschwister mehr. Niemand aus der Familie, der auch nur ein Wort mit ihm redet.
Wie ich ihn beneide!«
    »Warum?«
    »Mit mir reden mehr Menschen, als mir lieb ist. Meine Familie macht
mir dabei übrigens keine Sorgen – sondern die Armee. Ein deutsches Mädchen zu
heiraten, gut und schön. Eine bereits verheiratete Deutsche zu schwängern –
nicht so gut, aber das lässt sich noch diskret regeln. Aber eine hässliche
Scheidung? Wenn der Mann ebenfalls Soldat gewesen ist, gegen die Russen
kämpfte, die möglicherweise unsere nächsten Gegner werden, und dabei noch ein
Bein verloren hat? Einem Kriegsveteranen und Krüppel die Frau stehlen? Nicht
gerade das, was ein Gentleman tut. Und absolut intolerabel für einen
Besatzungsoffizier.«
    »Also droht die Versetzung nach Palästina oder Indien?«
    »Das ist einer der Nachteile, wenn man ein Weltreich beherrscht: Die
Vorgesetzten finden immer einen fernen Ort, an dem es gerade brennt. Die Juden
und die Araber in Palästina. Die Muslime und die Hindus in Indien. Genau die
Kerle, die sich schon auf mich freuen.«
    »Und wenn wir diesen Fall lösen?«
    »Habe ich in der Diskussion mit gewissen Offizieren ein Argument
mehr, um sie zu überzeugen, dass ich in Hamburg ganz nützlich bin, Scheidung
hin oder her.«
    »Immerhin habe ich schon zwei halbe Spuren. Vielleicht hatte Adolf
Winkelmann einen tödlichen Streit mit den Schmugglern, die zwischen
Hauptbahnhof und Hansaplatz ihr Unwesen treiben. Oder er hatte einen
mörderischen Feind unter den Kohledieben. Es sind zwar immer nur Andeutungen,
zuletzt von der jungen Prostituierten. Aber offenbar gehörte Adolf Winkelmann
auch zu den Jungen, die Kohlezüge an den Gleisen vor dem Dammtorbahnhof
ausräumen. Sehr gefährlich. Sehr profitabel. Im letzten Winter sind manche
Menschen wegen eines Sacks Kohlen erschlagen worden.«
    »Und doch sind es nur halbe Spuren?«
    Stave hebt entschuldigend die Hände. »Was hat die eine wie die
andere Hypothese mit der Werft zu tun? Warum treibt sich der Junge bei Blohm
& Voss herum?«
    »Das aber«, sagt MacDonald und lächelt wehmütig, »ist ja genau das,
was ich unbedingt herausfinden muss.«
    Als er endlich Anna gegenübersitzt, ist Stave erschöpft.
Sie hocken in der »Grimm Quelle«, nicht weit von der Katharinenkirche in der
Innenstadt: ein ehemaliges Eckhaus, von dem nur noch die Grundmauern stehen.
Dort, wo einmal das Erdgeschoss war, erstreckt sich nun ein kleiner, fast
quadratischer Platz, im Boden sind noch die Steinfliesen von Treppenhaus und
Wohnung eingelassen. Einige wackelige Stühle und schiefe Tische, eine Küche im
Keller des beschädigten Nachbarhauses, der Stumpf eines Kamins mitten auf dem
Platz, einige rote Rosen in Kübeln am Fuß der Mauern, auf die außen in
schwarzen, übergroßen Lettern auf weiß gekalktem Grund der Name der Gaststätte
aufgemalt ist: Nicht gerade romantisch, denkt Stave, aber vielleicht der
passende Ort, um mit Anna über seinen Sohn zu sprechen.
    Er wirft sein Jackett über die hölzerne, ungepolsterte Stuhllehne.
»Täglich frische Hühnerbrühe/Kaltes Buffet«, steht auf einem Plakat im Café –
ein Hinweis, der Stave an die Schilder erinnert, wie sie die Wehrmacht in der
Etappe aufgepflanzt hatte. Er bestellt für sich und Anna lieber Ersatzkaffee
und Zwieback, mit klebriger Ersatzmarmelade bestrichen.
    Stave weiß nicht recht, wie er beginnen soll, redet
Belanglosigkeiten. Er spürt selbst, wie falsch das klingt.
    »Spielst du mir eine Komödie vor?«, unterbricht sie ihn.
    »Gib mir etwas Zeit«, bittet Stave. »Ich schlage mich im Moment mit
vielen Sachen herum. Zu vielen. Aber das wird wieder besser werden.« Klingt
nicht viel überzeugender. Er wünschte, sie hätten in diesem erbärmlichen Café
wenigstens Sonnenschirme. Zwischen den rissigen Ziegelmauern steht die Luft wie
in einem Backofen, es riecht nach Zement und Steinstaub und fauligem
Brackwasser aus den nahen Fleeten.
    »Gestatten Sie, dass ich mich einen Moment zu Ihnen setze?«
    Der Oberinspektor schreckt aus seinen Gedanken auf. Staatsanwalt
Ehrlich.
    Verwirrt springt Stave auf, zieht einen dritten Stuhl heran, winkt
den Ober herbei, stellt Anna von Veckinhausen linkisch vor. Einerseits wäre er
gerne mit seiner Geliebten alleine geblieben, andererseits ist er erleichtert,
dass er

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