Schieber
wir sogar im Park. Planten un Blomen. Da kannte er sich auch aus,
weil er manchmal an der Bahnlinie daneben Kohlen geklaut hat. Wir sind da aber
nur spazieren gegangen.«
Stave bemerkt erstaunt, wie Hildegard Hüllmann errötet. Rasch blickt
sie aus dem Fenster. »Mehr war aber nicht, Herr Oberinspektor. So lange kannte
ich den Adolf ja noch nicht. Und der wusste auch, was ich so tue.«
Stave versucht, seine Gedanken zu ordnen. Adolf Winkelmann: Waise,
Schmuggler, Kartenschieber, Kohlenklauer. Jemand, der sich mit Wolfskindern wie
dieser Hildegard herumtrieb, aber nicht so eng mit ihnen befreundet war, dass
die auch nur seinen Nachnamen oder seine Adresse kennen.
»Sie schulden mir auch eine Geschichte«, reißt sie ihn aus seinen
Überlegungen.
Sie kann etwas vertragen, hat Hildegard Hüllmann von sich gesagt,
und Stave glaubt ihr. Also erzählt er ihr, was er von Adolf Winkelmann weiß –
auch, wo und wie sie seine Leiche gefunden haben. Die junge Prostituierte
starrt dabei die ganze Zeit aus dem Fenster.
»Hat Adolf dir gegenüber mal Blohm & Voss erwähnt? Oder dass er
etwas im Hafen zu schaffen hatte?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Hatte er andere Freunde? Oder kennst du Männer, mit denen er
Geschäfte gemacht hat?«
»Diese Männer habe ich nie gesehen. Auf dem Hansaplatz hat er
manchmal mit anderen Jungen geredet. In Planten un Blomen hat ihn auch ein
Junge angesprochen, den er offenbar vom Kohlenklauen kannte. Nicht sehr
freundlich.«
»Bedrohlich?«
»Nein. Eher so, wie zwei halt miteinander reden, die sich nicht
leiden können. Ein bisschen hänseln. Ein bisschen provozieren. Aber der Adolf
hat das nicht ernst genommen, sondern nur gelacht, als wir weiter spazieren
gegangen sind. Er hat mir auch nie einen der Jungen vorgestellt, mit denen er
geredet hat. Ich glaube, er war ganz gerne mit mir zusammen.« Wieder glühen
ihre Wangen für ein paar Augenblicke. »Ist ja jetzt auch egal«, sagt sie dann.
»Mir nicht. Ich will den Mörder fangen.«
»Haben Sie schon jemanden auf dem Kieker?«
»Ich werfe mein Netz aus und schaue, wer darin zappelt. Jungen vom
Bahndamm? Vom Hansaplatz? Schieber und Schmuggler? Werftarbeiter? Oder –
Wolfskinder?«
»Soll ich mich für Sie umhören?«
Stave kramt eine zerknitterte Karte aus einer Tasche und reicht sie
ihr. »Meine Telefonnummer. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn dir noch
etwas einfällt. Oder wenn du etwas hörst. Aber keine Privatermittlungen,
verstanden? Das ist meine Sache.«
Sie nickt und lässt die Karte verschwinden. »Sie sind der erste
Polizist, der mir seine Nummer zusteckt«, erwidert sie und versucht ein freches
Grinsen, das ihr nicht gelingt.
»Als Beamter kann ich dich jetzt nicht einfach zurück auf den
Bahnsteig schicken. Prostitution einer Minderjährigen, das ist verboten.«
»Hab schon befürchtet, dass ich nicht so billig davonkomme.«
»Wir machen einen kleinen Ausflug nach Barmbek.«
»Ins Mädchenheim? Das können Sie sich sparen, Herr Oberinspektor. Da
rücke ich gleich wieder aus.«
»Das gehört zu meiner Arbeit, dass man Sachen macht, von denen man
genau weiß, dass man sie sich sparen kann. Man macht sie aber trotzdem.«
»Klingt wie mein Beruf«, erwidert sie schnippisch und steht auf.
Eine Viertelstunde später sitzen sie nebeneinander in der
Straßenbahn. Stave ist erleichtert, dass Hildegard Hüllmann keinen Versuch
macht, ihm zu entkommen.
»Du könntest wieder zur Schule gehen«, sagt er, um das Schweigen
zwischen ihnen zu beenden.
»Das ist die dümmste Idee, die mir unterkommt, seit meine Mutter nicht
rechtzeitig aus unserem Haus abgehauen ist.«
»Es ist der einzige Weg aus dem Dreck«, erwidert er, ungehalten über
ihre Frechheit.
»Ich habe in Köslin die Volksschule bis zur vierten Klasse gemacht,
dann war Sense. Ich bin froh, dass ich ein bisschen lesen und schreiben kann.
Aber welche Schule würde mich schon nehmen?«
»Da gibt es viele.«
»Und was soll ich da lernen?« Hildegard Hüllmann deutet auf die
Ruinen, zwischen denen die Straßenbahn auf ausgeleierten Schienen langsam
Richtung Norden rumpelt. Die Luft flirrt zwischen den Mauern, dünne, gelbe
Staubfahnen stehen über Schutthaufen. »Da draußen brauche ich das kleine
Einmaleins nicht. Was man dort lernen muss, das habe ich gelernt. Ich werde
schon zurechtkommen.«
In der Nähe des Ohlsdorfer Friedhofes steigen sie aus und gehen den
Rest der Wegstrecke zu Fuß. Die Feuerbergstraße ist ruhig um diese Zeit, sie
passieren einige
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