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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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drei Uhren. Einmal
hatte er einen ganzen Koffer voller Nazi-Orden dabei. Möchte wissen, wer das
heute kauft.«
    »Er hat nicht über seine Kunden geredet?«
    »Haben Sie noch eine Zigarette?«
    »Meine letzte.«
    Sie bläst den süßlich duftenden Qualm zum offenen Fenster hinaus.
»Der Adolf hat nicht so viel geredet. Ich weiß nicht mal, wie er mit Nachnamen
heißt. Wie er hieß. Ich vermute, dass seine Eltern hin sind.«
    »Warum?«
    »Nur so ein Gefühl. Hat nie über sie geredet, nicht mal über seinen
Alten gemeckert.«
    »Wie bei dir?«
    »Bloß kein falsches Mitleid.«
    »Ich stelle Fragen, du gibst Antworten.«
    »Sie wollen meine Geschichte hören? Meine Eltern hatten eine
Schneiderei in Köslin. Anfang 1945 war mein Vater ja schon nicht mehr da, als
die Russen kamen. Meine Mutter wollte unser Haus nicht verlassen, ist nicht
abgehauen. War keine gute Idee von ihr.«
    »Nein?«
    »Muss das sein? Die Fortsetzung der Geschichte können Sie sich doch
denken.«
    »Ich will sie trotzdem hören.«
    »Ein Iwan kam rein und hat meine Mutter vergewaltigt«, sagt sie,
ohne eine Spur von Gefühl. »Dann hat er alles kurz und klein geschlagen, mit
seinem Gewehr gefuchtelt und uns aus unserem eigenen Haus hinausgeworfen. War
ziemlich kalt draußen. Wir sind einfach los, irgendwie Richtung Westen.
Siegfried, mein kleiner Bruder, ist nach ein paar Tagen verhungert. Meine
Mutter hat einen Pappkarton aufgetrieben und ihn neben einer Hauswand begraben.
Er war drei Monate alt. War nicht von meinem Vater, aber das ist eine andere
Geschichte. Mein anderer Bruder, Hagen, der war vier Jahre alt, hat sich eines
Abends an mich gelehnt und ist gestorben, einfach so. Ich habe ihn mit Schnee
bedeckt, um ihn zu beerdigen. In den Boden konnte ich ihn nicht mehr legen, der
war hartgefroren. Und ich war zu schwach. Dann ist meine Mutter gestorben,
Fieber. Dann kamen wieder irgendwelche Russen, keine Ahnung, wo das war.
Diesmal haben sie mich genommen, war ja keine andere mehr da. Später habe ich
in einem Wald, in dem ich mich versteckt hatte, ein paar Kinder getroffen.«
    »Wolfskinder.«
    »Ja. Bin dann bei denen geblieben. Wir sind tagsüber nicht
hervorgekrochen. Manchmal haben wir nachts in Ruinen geschlafen oder sind bei
polnischen oder litauischen Bauern in die Scheunen gestiegen. Wir haben geklaut
oder gegessen, was wir im Wald fanden. Und immer auf der Walze nach Westen, weg
vom Iwan. Wir hatten einen in der Gruppe, der war schon sechzehn und in der
Wehrmacht gewesen. Der kannte sich in so etwas aus. Ich hätte nicht mal
gewusst, in welche Richtung ich laufen müsste. Mit Baumstämmen und
selbstgebauten Flößen über die Flüsse. Einmal haben wir auf einem Güterwagen
der Russen viele Kilometer geschafft, wären aber beinahe erwischt worden.
Irgendwann waren wir in Hamburg. Kann nicht sagen, dass ich hier so viel besser
lebe als in Ostpreußen. Aber wenigstens sind die Tommies nicht so wie der
Iwan.«
    »Wo lebst du hier?«
    »Mal hier, mal dort.«
    »Keine Antwort, die man einem Polizisten geben sollte.«
    »Wir Wolfskinder sind erfinderisch. Wenn es warm ist, suchen wir uns
Keller oder bauen uns was in Ruinen zusammen. Da reichen ein paar Bretter,
Steine und ein wenig Pappe. Als es kalt war, bin ich manchmal in einem
Hochbunker untergeschlüpft. Aber wenn Sie da ein paar Tage hocken, dann stinkt
die Kleidung nach Desinfektionsmittel, sogar die Haut und die Haare miefen, als
hätte man sich mit Lysol parfümiert. Nicht gerade passend für mein Gewerbe.
Also bin ich gelegentlich einige Tage bei einem Kerl in der Wohnung
hängengeblieben. Aber länger als ein paar Tage halte ich es nie bei einem von
denen aus.«
    »Sie tun dir Gewalt an?«
    »Ich kann was vertragen. Ich kann nur Wohnungen nicht mehr
aushalten. Geschlossene Türen. Sie haben wirklich keine Zigarette mehr?«
    Stave schüttelt den Kopf und denkt nach. »Wie muss ich mir das
vorstellen, mit dir und Adolf? Du warst nie bei ihm. Du selbst wechselst oft
deinen Unterschlupf. Wo habt ihr euch getroffen?«
    »Am Bahnhof. Auf dem Hansaplatz, da vor allem. Wir haben geredet.
Manchmal suche ich auch dort nach Kerlen, die ein Geschäft auf dem Schwarzmarkt
gemacht haben und denen die Reichsmarklappen so in der Tasche jucken, dass sie
sie gleich wieder loswerden wollen. Der Adolf hat da manchmal Pause gemacht
zwischen seinen Botengängen. Hat mit mir geredet, bevor er in einem Hotel oder
einer Kneipe verschwunden ist, um seine Koffer abzuholen oder abzuliefern.
Zweimal waren

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