Schieber
Leiche gefunden wurde. Einzelheiten bei mir. Czrisini.« Die Nacht von
Donnerstag auf Freitag also, rechnet Stave nach. Das hilft ihm momentan so
wenig weiter wie die Aussagen der Schüler. Scheint so, als würden die
Ermittlungen ins Leere laufen. Ich muss wieder von vorne beginnen, sagt er
sich, vielleicht habe ich etwas übersehen. Könnte nicht schaden, noch einmal
mit der Tante zu reden.
Eine Stunde später klingelt er an der Tür zur Wohnung
Fuhlsbüttler Straße 594. Als Greta Boesel öffnet, quillt Zigarettenqualm bis
ins Treppenhaus.
»Gehen Sie auf den Balkon«, ruft sie und blickt ihn dabei kaum an.
»Ich bin gleich bei Ihnen.« Dann ist sie in einem Nebenraum verschwunden und
lässt den Oberinspektor stehen. Der, verblüfft und etwas verlegen, setzt sich
ins Freie unter das Sonnensegel. Er hört seine Gastgeberin reden. Mit wem? Es
dauert einige Zeit, bis Stave begreift, dass keine andere Person im Raum sein
kann.
»Sie haben Telefon?«, fragt er verblüfft, als Greta Boesel endlich
zu ihm tritt. »In einer Privatwohnung?«
»In meinem Büro. Ich bin eine Geschäftsfrau mit Telefon, was ist
daran so außergewöhnlich? Die Zeiten ändern sich. Zigarette diesmal?« Sie geht
zurück ins Wohnzimmer.
Stave lehnt ab. Bevor er seine Fragen stellen kann, quietscht ein
Schlüssel in der Wohnungstür. Walter Kümmel rauscht herein: zwei lange Schritte
quer durchs Wohnzimmer bis zu Greta Boesel, eine leidenschaftliche Umarmung,
ein überraschter Blick noch während des Kusses, Verlegenheit.
»Lassen Sie sich nicht stören«, sagt Stave. Er denkt an Anna und
rechnet lieber nicht nach, wie viele Tage es schon her ist, dass er sie das
letzte Mal so geküsst hat.
»Muss ich eifersüchtig werden?«, fragt der Boxpromoter, schüttelt
ihm jedoch die Hand. »Gibt es Neuigkeiten über unseren Adolf? Wann können wir ihn
beerdigen?«
»Der Körper des Jungen liegt noch in der Rechtsmedizin. Aber ich
denke, die Ärzte werden ihn bald freigeben. Ich habe heute dort einen Termin.
Deshalb bin ich aber nicht hier, sondern um mit Ihnen über die Nacht von
Donnerstag, dem 29. Mai, auf Freitag, den 30. Mai, zu sprechen.«
Die beiden werfen sich einen raschen Blick zu.
»Dann ist der Adolf also gestorben«, stellt seine Tante fest. »Und
nun überprüfen Sie unsere Alibis.«
»Wo waren Sie in jener Nacht?«
»In dieser Wohnung«, erwidert Greta Boesel. »Zuerst habe ich Musik
gehört, das Programm vom NWDR, dann habe ich mich schlafen gelegt.«
»Können Sie sich noch an die Musik erinnern?« Stave zückt den
Notizblock. Er könnte ihre Angaben später beim Sender überprüfen. Zu seiner
Enttäuschung schüttelt sie den Kopf. »Ich höre nie genau hin. Das Radio läuft,
damit die Wohnung nicht so still ist.«
»Kann sonst jemand bestätigen, dass Sie in der Wohnung waren?«
Kümmel räuspert sich. »Für die zweite Nachthälfte – ja. Ich war
lange im Büro und habe gearbeitet. Aber gegen zwei Uhr morgens war ich auch
hier, für den Rest der Nacht.« Greta Boesel errötet leicht und nickt.
»Zwei Uhr nachts? Da herrscht Ausgangssperre. Wie sind Sie vom
Chilehaus bis in diese Wohnung gekommen? Haben Sie eine Ausnahmegenehmigung?«
»Ich habe Ortskenntnisse.« Kümmel lächelt. »Ich wollte nicht im Büro
übernachten und bin deshalb auf Nebenwegen bis zu Greta gegangen. Pfade
zwischen Trümmerbergen. Straßen, die noch nicht freigeräumt sind und die
deshalb kein Jeep passieren kann. Die Tommies haben mich nicht erwischt. Ich
hoffe, Sie verzeihen mir, Herr Oberinspektor.«
Stave überschlägt die Daten im Kopf. Greta Boesel und Walter Kümmel
haben kein Alibi für den Zeitraum von der Abenddämmerung bis zwei Uhr nachts.
Danach stützen sich ihre Alibis gegenseitig. Keine unabhängigen Zeugen. Keine
überzeugenden Alibis – aber auch keine, die er leicht erschüttern könnte.
»Lassen Sie uns über Kohlen sprechen«, wechselt er das Thema.
»Nicht unser Geschäft«, wirft die Fuhrunternehmerin ein.
»Aber vielleicht das von Adolf? Ich habe mich umgehört. Der Junge
scheint häufiger«, Stave zögert, schluckt das Wort herunter, das ihm auf der
Zunge gelegen hat, und fährt unverbindlich fort: »organisiert zu haben.«
Stille. Der Oberinspektor sieht, wie beide abwägen, was sie erwidern
sollen. Wie sie versuchen zu erraten, was der andere wohl sagen wird.
»Das ist ja keine Schande«, ermutigt er sie. »Aber vielleicht eine
Spur für mich.«
Greta Boesel seufzt. »Adolf hat hin und wieder einen Sack nach
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