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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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ihr die Schiffe, die
sie sieht, sobald sie aus ihrer Wohnung tritt, einen Schrecken einjagen? Ich
werde sie bei Gelegenheit einmal fragen.
    Als er an der Tür zur Kellerwohnung klopft, öffnet niemand. Später
Nachmittag. Anna wird losgezogen sein, um in den Ruinen nach Antiquitäten zu
suchen, bis es dunkel ist. Stave zwingt sich, nicht enttäuscht zu sein. Er
reißt eine Seite aus seinem Notizheft und kritzelt darauf: »Essen wir
Samstagabend bei mir? Ich decke für zwei, wenn du nicht absagst. F.« Magere
Zeilen. Er wagt nicht, mehr zu schreiben, es wäre ihm zu peinlich. Er steckt
den Zettel in den Schlitz zwischen Tür und Rahmen, überlegt es sich dann aber
noch einmal und ersetzt das »F.« durch seinen Vornamen: »Frank«.
    Samstagmorgen. Zu früh für die lastende Hitze des Tages.
Stave genießt einen kühlen Hauch auf der Haut. Dunstige Luft, milchiges Licht,
die Trümmer zu beiden Seiten der Straße wirken wie in Pastell gemalt. Der Oberinspektor
ist seit fünf Uhr auf den Beinen, um rechtzeitig beim Treffpunkt zu sein.
    Er erreicht den Parkeingang in der Nähe des Dammtorbahnhofes. Bis
zum Krieg erhob sich dort ein reetgedecktes Inspektorenhaus, daneben ein
Hörsaal der nahen Universität. Nun steigt der Oberinspektor vorsichtig über die
brandschwarzen Grundmauern dieser Gebäude. Der Botanische Garten dahinter mit
seinen exotischen Pflanzen in exakten Reihen, wie Soldaten bei einer Parade,
die sich nie bewegt. Einige schöne, alte Bäume fangen den Dunst ein, ihre
Blätter glänzen nasssilbern. Es duftet nach Kiefernnadeln. Von den großen
Rasenflächen ist nichts mehr zu sehen, seit die Stadt den Anwohnern erlaubt
hat, Kartoffeln im Park zu pflanzen. Die aufgeworfene Erde dampft, die Wege
dazwischen sind mit den Hinterlassenschaften der wenigen Ochsen und Kaltblüter
verschmutzt, die man irgendwo aufgetrieben und vor die Pflüge gespannt hat.
Viele schwarze, furchtlose Rabenkrähen hüpfen durch den Park. Stave glaubt,
dass es mehr sind als früher, viel mehr. Möchte nicht wissen, was die fressen,
denkt er.
    Als der Oberinspektor fast schon den Rosengarten jenseits des
Dammtorbahnhofes erreicht, bewegt er sich vorsichtiger, sucht seinen Weg nahe
an Sträuchern oder unter mächtigen Baumstämmen. Der Rosengarten selbst ist
rund, mit einem metallenen, türkisgrünen Pavillon in der Mitte. Rote, gelbe,
rosafarbene, weiße Rosen, knie- bis doppelt mannshoch, an Ranken, in Bögen und
Sträuchern. Ein schwerer Duft wie das Parfüm einer betörenden Frau.
    Aus dem Pavillon löst sich ein schmaler Schatten: Kleensch.
    »Schlagen wir uns in die Büsche«, sagt er leise.
    Hinter dem Rosengarten Brombeeren und Sträucher. Stave hofft, dass
ihm Dornen kein Loch in die Hose reißen, es ist seine vorletzte. Das würde ihm
noch fehlen, sich auf dem Schwarzmarkt für ein Vermögen eine neue Hose
organisieren zu müssen.
    Der Journalist flucht leise und hält sich seinen linken Daumen, aus
dem ein Tropfen Blut quillt. »Bin ich froh, dass ich bei der Luftwaffe war«,
flüstert er. »Die Kameraden von der Infanterie mussten das hier jeden Tag
machen. Aber wir sind gleich da.« Er drückt einen Zweig zur Seite und deutet
nach vorne.
    Am Ende des Parks, zwischen Tiergarten- und Bundesstraße, führen
Gleise in einer Kurve Richtung Dammtorbahnhof. An der gegenüberliegenden
Bundesstraße steht noch eine Zeile mit fünfgeschossigen Gründerzeithäusern.
Prachtvolle Wohnungen hinter hellem Putz und Ziegeln, weiß oder blassocker
verputzt. Ein Eckhaus ist sogar in einer Art Orangeton gehalten, mit weißen,
griechischen Säulen, die Balkons tragen – wie antike Tempel, was inmitten der
Zerstörung frivol wirkt. Stave betrachtet die Balkons und Fenster dieser
Häuser, sucht nach einem Anzeichen dafür, dass dort schon jemand wach ist. Man
hätte einen guten Blick auf den Park. Niemand zu sehen.
    Vier Schienenstränge liegen im Gleisbett, das etwa zwei Meter unter
dem Straßenniveau verläuft, wie ein Bach aus Schotter und Stahl. Da entdeckt er
einige Gestalten an den Hängen der Trasse, im Morgendunst kaum auszumachen.
Zehn, zwanzig Jungen, hockend, kniend, liegend. Säcke in den Fäusten – und
Knüppel.
    »Besser, die bemerken uns nicht«, zischt Kleensch.
    »Auf diese Idee wäre ich von selbst nicht gekommen«, brummt Stave.
    »Warten Sie ab.«
    Fünf Minuten, zehn Minuten. Langsam brennt die Sonne den Dunst weg.
Noch ein paar Augenblicke und die Sicht ist so klar, dass uns jeder Bengel, der
einen zufälligen Blick ins

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