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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Morgen sowieso nicht alle Jungen
befragen können. Besser, er konzentriert sich auf einen und lässt sich von den
anderen nicht stören.
    »Ich komme nach«, ruft der Anführer und lächelt schief. »Hoffe ich.«
Dann wendet er sich dem Oberinspektor zu, eher Neugier als Besorgnis im Blick.
»Es geht wieder um Mord, habe ich recht?«
    »Du kannst bei uns anfangen, wenn du groß bist«, erwidert Stave.
Wilhelm »Jim« Meinke, vierzehn Jahre alt, ungepflegtes, braunes Haar, fehlender
linker Vorderzahn. Der Oberinspektor hat ihn schmächtiger in Erinnerung, als er
ist. Ein Zeuge im Fall des Trümmermörders. Damals war er in der Nähe eines
Leichenfundortes aufgegriffen worden: am Billekanal. Am Ende des Hafens. Stave
erinnert sich daran, dass Meinkes Eltern im Bombenhagel gestorben sind. Der
Vater hat bei Blohm & Voss gearbeitet. Der Junge hatte beim Verhör vor
einem halben Jahr gesagt, dass er ihn oft begleitet hätte und sich deshalb im
Hafen auskennt.
    Er zeigt ihm das Foto von Adolf Winkelmann. »Kommt dir das Gesicht
bekannt vor?«
    Meinke pfeift durch seine Zahnlücke. »Da hat jemand gründliche
Arbeit geleistet.«
    »Die Antwort lautet also: ja.«
    »Macht mich das jetzt verdächtig?«
    »Ja.«
    »Mit dem Adolf hat man immer Ärger. Selbst wenn er tot ist.«
    »Klingt nach echter Trauer.«
    »Das ist kein großer Verlust für Hamburg und die Welt.«
    »Und du bist der Mann, der das beurteilen kann.«
    »Sieht so aus, als kenne ich den Adolf besser als Sie.«
    »Dann hilf mir, den Rückstand aufzuholen. Fangen wir bei dir an. Ich
denke, du treibst dich am Billekanal herum und suchst dort nach Kohlen. Was
tust du hier?«
    »An der Bille haben Sie mich letztes Mal erwischt, das war aber bloß
Zufall. Ich mache in Kohlen, genau wie der Erik Blumenfeld.«
    Hamburgs größter Kohlenhändler und nebenbei
Bürgerschaftsabgeordneter der CDU. Jungen wie Jim Meinke dürften ihm schon das
eine oder andere Geschäft ruiniert haben. Wenn Stave Meinke verhaftete, dann
hätte er einen mächtigen Freund in der Bürgerschaft. Und lässt er ihn laufen,
dann sollte sich das besser nicht bis in die Politik herumsprechen. »Also
besorgst du dir die meiste Zeit hier deinen Nachschub?«
    Der Junge zuckt mit den Achseln. »Mal so, mal so. Wenn die Polente
mal wieder in voller Stärke hier aufkreuzt, ist es besser, sich am Hafen
rumzutreiben. Außerdem kann man bei einem Kohleschiff nicht unter die Räder
geraten.«
    »Man nimmt höchstens ein Bad in der Elbe.«
    »Besser als ein abgesägtes Bein.«
    »Und wo hast du Adolf Winkelmann kennengelernt?«
    »An der Bahnlinie.«
    Der Oberinspektor ist überrascht. »Nicht am Hafen? Blohm &
Voss?«
    »Nein.«
    »Bist du dir ganz sicher?«
    »Was soll das werden? Ein Gestapo-Verhör? Mein Revier am Hafen ist
der Billekanal und seine Umgebung. Dort kommen die Kohlenkähne an.
Binnenschiffe. Weiter stromabwärts bin ich nie. Das liegen die Seeschiffe.
Nicht mein Ding dort, viel zu gefährlich. Zu viele Wachen der Tommies. Wenn der
Adolf sich dort herumtrieb, dann weiß ich davon nichts.«
    »Dein Vater hat doch bei Blohm & Voss gearbeitet?«
    Ein Nicken.
    »Und du warst öfter da?«
    »Als mein Alter noch lebte, hat er mich manchmal mitgenommen. War
eigentlich verboten, aber der alte Herr war ganz in Ordnung und hat sich um
solche Dinge nicht gekümmert. Seit er weg ist, war ich nicht mehr da. Was soll
ich mich da noch umsehen?«
    Stave starrt den Vierzehnjährigen an. Früher hätten die meisten
erwachsenen Verbrecher ihm nicht halb so selbstsicher geantwortet wie dieser
Junge. »Also schön: die Bahnlinie. Wann hast du Adolf Winkelmann das erste Mal
gesehen?«
    »Keinen Schimmer. Er war halt irgendwann mal da.«
    »Geht es nicht genauer? Letzten Monat? Letztes Jahr?«
    »Als es so kalt wurde. Da kreuzten immer mehr Leute hier auf, auch
Alte und Mädchen.«
    »November oder Dezember 1946?«
    »Ich habe keinen Kalender.«
    Der Oberinspektor rechnet nach. Der Beginn des Hungerwinters. Die
Elbe fror irgendwann zu. Die meisten Züge gingen nicht mehr ab, aus
Kohlemangel. Boxkämpfe und andere Vergnügungen fielen aus. Für einen
Schmuggler, der nebenbei Eintrittskarten verschanzt, keine gute Zeit. Und was
hatte seine Tante gesagt? Dass er irgendwann auch Kohlen nach Hause brachte.
Das passte zusammen.
    »War er ab dann oft hier?«
    »Nur hin und wieder. Ein Amateur. Oder noch nicht mal das. Der Adolf
war hauptsächlich deshalb am Bahngleis, weil im Winter andere Kinder auch dort
waren. Kinder, die

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