Schief gewickelt (German Edition)
ja wohl alles in Ordnung.
Der Dachgeschosspalast ist natürlich eingerichtet, als hätte Tante Hilda eigens zu diesem Zweck die drei aktuell wichtigsten Mailänder Innenarchitekten eingeflogen und sie eine Woche lang hier zum Brainstorming eingesperrt. Selbst das rote Bobby-Car, das sie extra für Greta und ihre Freunde angeschafft hat, sieht aus wie ein gezielt platziertes Wohnaccessoire.
Falls Sie es nicht wissen: Ein Bobby-Car ist für Zweijährige das, was ein Lamborghini Miura für Dreißigjährige ist. Der finale feuchte Traum vom Sich-Fortbewegen auf vier Rädern. Als Antrieb des Bobby-Cars dienen zwei Kinderbeine. Das Bewegungsmuster ist anscheinend angeboren. Es gibt weltweit keinen bekannten Fall, bei dem man einem Kind erklären musste, wie man auf einem Bobby-Car vorankommt, genau wie es weltweit keinen bekannten Fall eines Mannes gibt, dem man erklären musste, wie man einen Miura startet. Die Kleinen setzen sich auf das Bobby-Car, stellen ihre Füße links und rechts auf den Boden und stoßen sich ab. Während das Bobby-Car nach vorne rollt, werden die Beine, ähnlich wie beim Brustschwimmen, wieder nach vorne gezogen. Die Fußspitzen schleifen dabei über den Boden. Die Lebensdauer der Kinderschuhe eines Bobby-Car-Fahrers ist deswegen etwa ebenso lang wie die einer Miura-Tankfüllung. Und der Lärm, den die Bobby-Car-Räder auf Parkett oder Fliesen machen, treibt Nachbarn ebenso zuverlässig in den Wahnsinn wie ein röhrender Spaghettimotor vor dem Wohnzimmerfenster.
Wenn man mehrere Kinder in einer Wohnung zusammenbringt, so ist normalerweise darauf zu achten, dass genauso viele Bobby-Cars wie Kinder da sind, weil es sonst regelmäßig tiefe Kratz- und Bisswunden gibt. Nur bei Tante Hilda scheint diese Regel nicht zu gelten. Sie ist die einzige Frau Berlins, die es schafft, vier Kinder, ein Bobby-Car und Frieden unter einem Dach zu vereinen. Ausstrahlung, unsichtbare positive Energieströme, Drogen im Zitronenwasser – keine Ahnung, wie sie das hinkriegt. Ich muss sie wirklich bei Gelegenheit mal fragen.
Die Party hat sich inzwischen vollends auf die Dachterrasse verlagert. Tante Hilda hat zwei kleine Plastikwannen aufgestellt, in der die Kinder Enten und Bötchen schwimmen lassen. Nur Herr Baumer und ich sitzen noch drin.
»Ich würde niemals meinen Balkon gegen eine Dachterrasse tauschen. Oder wollen Sie sich vielleicht von Hubschrauberpiloten beim Sonnenbaden beobachten lassen?«
»Hmpf.«
Er redet seit einer Stunde. Es gibt nicht viel, was mich dazu bringen könnte, aus diesem wunderbaren Sofa aufzustehen, aber er hat es tatsächlich geschafft. Ich entschuldige mich und gehe zur Toilette.
Toilette.
Meine Schwester hat mich früher immer zur Raserei getrieben, weil sie auf dem Klo gelesen hat. Eine Stunde war an guten Tagen keine Seltenheit. Habe ich nie verstanden, wie man sich auf einer Klobrille sitzend in einen Roman vertiefen kann. Da schlafen einem doch die Beine ein, und auch als Mädchen hat man sicher irgendein Pendant zu den Eiern, das man sich verkühlen kann, was weiß ich. Ich war jedenfalls immer zügig wieder draußen und habe meine Bücher anderswo studiert.
Bis Daniel kam.
Seitdem ist die Toilette für mich zu einer Oase der Stille geworden. Ich verlasse sie niemals, ohne nicht vorher die Nase ausgiebig in irgendein Druckwerk gesteckt zu haben, und eingeschlafene Oberschenkel finde ich heute sogar lustig.
Tante Hildas Toilette ist ein Prachtexemplar. Durch eine Milchglaskuppel fällt feines Licht auf travertinverkleidete Wände und designpreisgekrönte Badkeramik. Der Klobrille sieht man an, dass sie, wie alle guten Klobrillen, zunächst etwas kühl, dann aber, wenn man ihr erst einmal genügend Schenkelwärme zugeführt hat, warm und gemütlich sein wird. Auf einem Sideboard stapeln sich die neuesten Ausgaben aller gehobenen Frauenmagazine. Ich suche mir eine aus und lasse mich seufzend nieder.
Beim Blättern bleibe ich bei der in diesem Jahr obligatorischen Scarlett-Johansson-Fotostrecke hängen. Da steht sie, die weiße Bluse vollends aufgeknöpft und bis zum äußersten Anschlag zur Seite geschoben. Ein Naturschauspiel erster Güte. Da muss ich natürlich das Interview lesen. »Ich mag meine Mädels«, sagt sie. Ich muss den Absatz zweimal lesen. Nein, kein Zweifel. Damit hat sie ihre Brüste gemeint. Scarlett Johansson nennt ihre Brüste Mädels.
Wieder draußen, gehe ich mit eingeschlafenen Beinen an Herrn Baumer vorbei auf die Dachterrasse. Ich habe kein
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