Schief gewickelt (German Edition)
unter die Räder und wirft das Bobby-Car aus der Spur. Nun bin ich wirklich nicht so der knochige Typ, und es gibt viele Stellen, an denen mein Körper einen kräftigen Bobby-Car-Rammstoß gut abpuffern könnte. Mein Schienbein gehört aber nicht dazu. Klara ist nach dem Zusammenprall leider völlig von der Rolle und sieht so aus, als ob sie gleich anfängt zu heulen. Ich verschiebe also das Fluchen und einbeinige Herumhüpfen auf später, grabe sie unter dem Bobby-Car aus und nehme sie auf den Arm. Na also. Sie lacht wieder. Ich setze sie zurück auf ihren Feuerstuhl und humpele zu den Liegen.
»Na, wo hast du so lange gesteckt?«
»Ich hatte Schokokuchen am Hemd.«
»Iiihh. Na, den Fleck solltest du aber schnell rauswaschen.«
»Hab ich schon versucht. Sieht man doch. Ging nicht besser.«
»Äh, Markus, schau noch mal genau hin.«
Mit dem genervtesten aller verfügbaren Gesichtsausdrücke sehe ich an mir herunter und erstarre. Neben der gewässerten Hemdregion ist aus heiterem Himmel ein neuer brauner Batzen nachgewachsen. Da komme ich nicht mehr mit. Im Laufschritt eile ich zurück Richtung Bad, wieder mit einem riesigen Fragezeichen über meinem Kopf. Erst als ich schon im Wohnzimmer bin, kommt mir der entscheidende Verdacht. Ich mache auf dem Absatz kehrt und schnappe mir Klara. Bingo. Schokokuchen an der Windel. Und ich Depp musste sie natürlich auf den Arm nehmen.
»Hallo, ihr da! Klara hat sich irgendwo in Schokoladenkuchen gesetzt.«
Und Daniel vorhin wohl auch. Ist mir nur beim Windelwechseln nicht aufgefallen, weil ich mittlerweile so geübt bin, dass ich gar nicht mehr richtig hinsehe. Wir sollten schleunigst den Stuhl finden, auf dem das plattgesessene Kuchenstück steht. Aber erst mal muss ich mich um mich kümmern. Auf dem Weg zum Bad laufe ich fast in Herrn Baumer. Er sieht mein Hemd und zeigt auf den Fleck.
»So was soll man ja lieber eintrocknen lassen.«
Schade, dass ich keinen Spermafleck auf seiner Hose sehe. Sonst hätte ich sagen können: »Und das hier bestimmt auch.«
Im Bad veranstalte ich die nächste Seifenorgie. Nach fünf Minuten harter Arbeit ist auch der zweite Schokobatzen von meinem Hemd verschwunden. Die Braunschattierung des Wasserflecks ist natürlich eine Nuance stärker geworden. Allmählich sehe ich ein, dass das mit dem weißen Hemd wirklich eine Scheißidee war. Trotzdem werde ich diesen Nachmittag in Würde zu Ende bringen.
Ich schnappe mir noch ein Glas Zitronenwasser und lehne mich über die Brüstung. Ob ich Tante Hilda nach Bier fragen soll, oder ziemt sich das nicht für einen Kindergeburtstag? Was sind das wieder für Fragen? Warum sollte man auf einem Kindergeburtstag kein Bier trinken? Ich hätte einfach einen Kasten mitnehmen sollen.
Herr Baumer gesellt sich zu mir.
»Was ich übrigens schon lange mal fragen wollte, ich habe gehört, Ihr Sohn liebt Ballett?«
Dieses angedeutete Grinsen. Zum Reinschlagen. Das soll wohl jetzt der Frontalangriff auf meinen unverdienten 100-Bilanzpunkte-Vorsprung werden. Dem Mann kann geholfen werden.
»O ja, Daniel liebt Ballett. Und, im Vertrauen gesagt, er tanzt auch Ballett. Und, ganz unter uns, er trägt dabei sogar ein Röckchen. Und, aber nur, wenn Sie es niemandem weitersagen, ich zieh mir dann auch immer ein Röckchen an und tanze mit.«
Ich sehe ihm verschwörerisch in die Augen. Die Baumersche Hirnbilanzrechenmaschine hört mit einem Schlag auf zu rattern. Für einen kurzen Augenblick herrscht unheimliche Stille. Dann höre ich, wie die Akte Heisenkamp in seinem Hirn ein für alle Mal zugeklappt, ein fetter »Nicht satisfaktionsfähig«-Stempel auf den Deckel gedonnert und der zuständige Sachbearbeiter wegen Beschäftigungsmangel in eine andere Abteilung versetzt wird. Großartig!
Daniel kommt an und will auf meinen Arm.
»Erzähl doch mal Herrn Baumer was vom Ballett.«
»Wir, wir, wir ham Schwanensee , da, da tanzt die Schwanenkönigin, mit dem Prinz, der Prinz kommt da rein, da springt der sooooo hoch …«
Ich könnte lachen, dass es der ganze Prenzlauer Berg hören würde, aber ich schaue lieber stolz drein und nicke ernsthaft dazu. Herr Baumer nickt auch und wirkt irgendwie verstört. Nachdem Daniel seine Balletterzählungen beendet hat, schicke ich ihn wieder zu den anderen.
»Oh, was ist denn da auf Ihrem Hemd, Herr Heisenkamp? Das ist doch nicht etwa schon wieder …?«
Wie jetzt? Ich hab doch Daniel vorhin die versaute Windel … Aber nein, tatsächlich. Da klebt der nächste Schokobatzen.
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