Schief gewickelt (German Edition)
müssten wir Greta aus humanitären Gründen adoptieren. Daniel würde sich dann mit ihr gegen mich verbünden, und mein letztes Stündlein hätte bald geschlagen.
Von fern höre ich Daniel und Simone herumquietschen. Das animiert mich dazu, schließlich doch aufzustehen. Unser Bademantelfrühstück gestaltet sich, abgesehen von der obligatorischen Kakaoüberflutung unseres weißen Ikea-Tischs, recht behaglich. Simone und ich picken noch satt und zufrieden an den letzten Krümeln und versuchen dabei Daniels ohrenbetäubendes Kochtopf-Konzert zu ignorieren, als Annette anruft. Annette ist die alleinerziehende Mutter von Klara aus unserem Hinterhaus. Ein klassischer Mama-in-Latzhosen-Typ. Das merkt man daran, dass sie, selbst wenn sie mal keine Latzhose anhat, immer noch aussieht, als hätte sie eine Latzhose an. Auch als Mensch ist Annette ausgesprochen Latzhose: pragmatisch, unkompliziert und absolut unverwüstlich. All die Dinge, die eine alleinerziehende Mutter auch dringend sein muss, wenn sie mit einem Kind wie Klara auch nur eine Woche überleben will. Klara ist nämlich keine Latzhose, sondern die Kampfshorts von Muhammad Ali.
Wenigstens hat Annette zur Unterstützung einen kompletten Satz Großeltern in Berlin am Start, sonst wäre ihre Laune vielleicht doch nicht immer Latzhose, sondern auch mal Kittelschürze oder Zwangsjacke. Das Gute an Klara ist aber, dass sie sich, trotz ihrer zarten vier Jahre und ihres Wildfangtums, immer voll verantwortlich für Daniel und Greta fühlt, wenn sie zusammen spielen. Es gab schon Tage, an denen man ihr eigentlich Babysittergeld hätte zahlen müssen.
Simone und Annette sind seit dem ersten Tag, den wir hier wohnen, gute Freundinnen. Und Annettes Vorschlag, den restlichen Vormittag gemeinsam mit uns auf dem Spielplatz zu verbringen, trifft bei meiner Liebsten jeden Nerv, den man nur treffen kann. Wenn man die ganze Woche unter Hochdruck von Meeting zu Meeting hetzt, gibt es nichts Schöneres, als endlich auch mal Spielplatzmama zu sein und gemütlich mit einer anderen Spielplatzmama am Sandkastenrand zu sitzen und sich gegenseitig mit Kinder-Gossip vollzutexten.
Eigentlich würde ich jetzt, im Gegensatz zu gestern, gerne mitkommen. Daniel würde von Klara in Schach gehalten, und ich könnte mein Gesicht der Sonne entgegenstrecken. Aber man braucht kein Papst des Einfühlungsvermögens zu sein, um zu erkennen, dass ich hier nur das lästige fünfte Rad am Wagen wäre. Ich sehe vom Balkon aus dem fröhlichen Kinderwagen-Duo auf dem Bürgersteig hinterher. Annette mit Latzhose und afrikanischer Mütze, Simone mit Sommerrock, Spaghettiträger-Top und Piratenkopftuch. Hanni und Nanni in Groß.
Eine Stunde Ruhe zu haben ist natürlich auch nicht schlecht. Das Problem ist nur die Tageszeit. Ich gehe in Gedanken ein paar Freunde durch, die ich jetzt gerne mal wieder sehen würde, aber bei jedem Namen erscheint vor meinem geistigen Auge ein wohlig schlummernder Männerkörper zwischen weichen Decken in einem sorgfältig abgedunkelten Zimmer. Nein, am Sonntag um zehn kannst du einfach niemanden anrufen, den du nicht zum Feind haben willst. Ich bräuchte mal einen richtigen Papa-Freund, aber die guten sind schwer zu finden.
Ich kaufe mir eine Sonntagszeitung und studiere den Sportteil. Macht natürlich wenig Spaß nach dem gestrigen 3:1-Desaster gegen die Bayern. Um meine Laune zu heben, lese ich noch ein wenig im Wirtschaftsteil und meditiere zum hundertsten Mal darüber, welches Unternehmen wohl in ein paar Jahren von meiner Internetfirma aus dem Tec DAX gekickt wird. Dann ist es auch schon Zeit, die Fischstäbchenproduktion anzuwerfen. Die wichtigste Voraussetzung für einen fröhlichen Kindergeburtstag ohne Catcher-Einlagen und Tränensturzbäche ist nämlich, dass wir Daniel pünktlich und in sattem Zustand zum Mittagsschlaf ins Bett stecken.
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Eigentlich hat alles gut geklappt. Daniel hat perfekt geschlafen. Simone auch. Sie ist beim Ins-Bett-Bringen spontan neben ihm weggedöst. Ich bin als Einziger wach geblieben, habe tapfer versucht, mich nicht wieder vernachlässigt zu fühlen, meine Enttäuschung in positive Energie umgemünzt und einen Namen für meine Internetfirma gefunden: Feelgoood. Ja, das klingt gut. Feelgoood AG – die Spitze des neuen Internet-Eisbergs.
Aber jetzt machen wir uns erst mal mit dem Aufzug auf den Weg in den fünften Stock. Greta feiert ihren Geburtstag nämlich bei ihrer Tante Hilda. Tante Hilda ist Frau Baumers Schwester. Sie wohnt
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