Schief gewickelt (German Edition)

allein. Ihr Dachgeschosspalast ist so riesig, dass ich gar nicht wissen möchte, was für Zustände sie damit schon in Herrn Baumers Hirnbuchhaltungsabteilung ausgelöst hat. Greta hat außer Daniel noch Klara und den kleinen Emil aus dem Nachbarhaus eingeladen. Die beiden sind schon da, und wie immer, wenn sie sich sehen, stürzen die Kleinen aufeinander los und geben sich Küsschen. Und wie immer, wenn ich das sehe, steigen mir kleine Rührungstränen in die Augen, und ich hoffe, dass das niemand mitbekommt.
    Tante Hilda ist eine, nun ja, sehr temperamentvolle Frau ohne eigene Kinder. Und wie die meisten sehr temperamentvollen Frauen ohne eigene Kinder verwandelt sie sich, sobald Kinder in der Nähe sind, in eine Spiel- und Tobegranate erster Güte. Ich beneide Herrn Baumer weder um seinen BMW noch um seine gläserne Duschkabine, aber ich beneide ihn um diese Schwägerin. Dass Kinder jedem, aber auch wirklich jedem beliebigen anderen Menschen besser gehorchen als ihren Eltern, ist nichts Neues. Aber wenn ein Kind Tante Hilda zum ersten Mal sieht, passiert noch etwas ganz anderes. Da baut sich von einem Moment auf den anderen ein Göttin-und-ergebener-Diener-Verhältnis auf, dass du grün vor Neid werden könntest. Sogar bei solchen Kalibern wie Daniel und Klara.
    Einen Sonntag wie diesen muss man genießen. Die Kinder fegen um ihre Göttin herum. Frau Baumer und Emils Mutter servieren Schokoladenkuchen und Zitronenwasser, während Simone und Annette auf der Dachterrasse ihren Spielplatzplausch weiterspinnen. Ich habe mich mit einem gefüllten Glas in eines von Tante Hildas riesigen Sofas sinken lassen und genieße es, nichts machen zu müssen.
    Herr Baumer sitzt neben mir. Ich würde ihm gerne vorschlagen, einen Wettkampf zu machen, wer von uns sich am wenigsten bewegt, aber ich komme nicht zu Wort. Er erklärt mir schon seit einer halben Stunde, warum Tante Hildas Wohnung schlecht geschnitten ist und warum nicht einmal die beiden Dachterrassen und die Badewanne mit den Massagedüsen all die Nachteile aufwiegen können.
    Ich versuche verzweifelt, seinen Worten den direkten Weg zu meinem einen Ohr herein und zum anderen wieder heraus zu zeigen. Aber wenn Herr Baumer textet, ist das nicht so einfach, denn er hat eine Versicherungsmakler-Rhetoriknahkampfausbildung. Da kann man nicht nur dasitzen, mit dem Kopf nicken, von Zeit zu Zeit »ja« oder »hmpf« sagen und gleichzeitig an schöne Inseln mit weißen Stränden denken. Zwischendrin haut er immer diese heimtückischen Fragen rein, auf die man wirklich antworten muss, wenn man nicht unhöflich sein will. Früher habe ich daraufhin tatsächlich jedes Mal ein feingefügtes Statement ersonnen und mit wohlgewählten Worten vorgetragen, um dann festzustellen, dass es Herrn Baumer gar nicht interessierte, sondern dass er mich nur bei der Stange halten wollte. Inzwischen beherrsche ich aber eine Technik, die mich gut gegen alle Baumer-Gesprächsattacken schützt. Kommt eine Frage, bei der »ja« oder »hmpf« nicht zieht, hole ich hörbar Luft, schaue ins Leere und tue, als ob ich nachdenke. Nach einer kleinen Ewigkeit sage ich dann »schwierig«, sehe ihn kurz an und sinke dann wieder in den feinen Sand der schönen fernen Insel.
    »Wie würden Sie es finden, wenn der Eingang zu Ihrer Toilette so nah an Ihrem Wohnbereich liegen würde wie hier?«
    »Hmmm …
    …
    …
    …
    … schwierig.«
    Zitronenwasser ist wirklich etwas Feines. Schmeckt gut und passt für Erwachsene und Kinder. Nur das Trinken ist verzwickt, wenn man so ganz tief in einem Sofa versunken ist. Man weiß, dass man den Kopf eigentlich zu flach abgelegt hat, ist aber zu faul, sich aufzurichten, und versucht deswegen dennoch an seinem Glas zu nippen. Und im nächsten Moment tropft es einem natürlich von den Mundwinkeln auf den Kragen.
    Jetzt könnte man natürlich sagen, dass ein weißes Hemd nicht unbedingt das Kleidungsstück der ersten Wahl ist, wenn man als Papa seinen Sohn auf einen Kleinkindergeburtstag begleitet, weil Schokoladenkuchen, Smarties, Mohrenköpfe und so weiter. Dazu muss ich aber einwenden, dass es sich nur um ein ungebügeltes, naturweißes Freizeithemd handelt, dass es eh schon Flecken hat und dass ich mit einem weißen Hemd irgendwie zum Ausdruck bringen wollte, dass Gretas Geburtstag ein besonderer Tag für mich ist. Außerdem ist Tante Hilda Chefredakteurin eines führenden Modemagazins. Da will man nicht gerade im Kampfanzug kommen. Und solange es bei Zitronenwasser bleibt, ist