Schief gewickelt (German Edition)
Jahre alt und eher Daniels beste Freundin.
Nicht dass ich Greta gegen Daniel tauschen würde. Auf keinen Fall. Daniel ist und bleibt der einzige kleine Racker, an dessen Kopf ich dauernd schnuppern muss und dessen Windel ich wechseln kann, ohne vor Ekel ohnmächtig zu werden. Aber immer wenn Daniel mich zur Weißglut treibt, und das tut er durchschnittlich 12,71-mal pro Tag, wünsche ich mir, er hätte ein wenig mehr von Greta.
Ich sehe Greta oft. Wir wohnen Tür an Tür mit ihr und ihren Eltern. Baumer heißen sie. Das Schlafzimmer der Eltern Baumer grenzt an unsere Küche. Wenn ich das, was wir durch die Wand hören, richtig deute, dann ist es um die erotischen Momente im Leben der Baumers derzeit ähnlich schlimm bestellt wie bei uns.
Ich könnte mich mit Gretas Vater anfreunden. Gleiches Alter, gleiche Lebenssituation, gleiche Leiden. Aber Gretas Vater ist ein Volldepp. Nicht dass ich alle Versicherungsmakler grundsätzlich für Volldeppen halte. Nur eine gewisse Teilmenge dieser Spezies tendiert in diese Richtung, und Gretas Vater gehört eben leider dazu. Sein Volldeppentum äußert sich zum Glück nicht darin, dass er versucht, uns Versicherungen aufzuschwatzen. Das ist unter seiner Würde. Wahrscheinlich würde er, selbst wenn ich ihn auf Knien um eine Vollkaskoversicherung anbetteln würde, nur sehr zögerlich darauf eingehen. Was ihn zum Volldeppen macht, sind seine Komplexe. Wenn man nahe genug an ihn herankommt, kann man leise die Rechenmaschine in seinem Kopf rattern hören.
Ich arbeite, Herr Heisenkamp nicht. Ein Punkt für mich. Ich trage Anzüge, Herr Heisenkamp nicht. Noch ein Punkt für mich. Ich fahre einen knapp ein Jahr alten BMW , Herr Heisenkamp einen Uralt-Golf. Noch ein Punkt für mich. Auweia, Herr Heisenkamp hat jetzt einen japanischen Kompaktvan. Autotechnisch ab jetzt nur noch einen halben Punkt für mich. Oder sogar gar keinen mehr?
Die Hirnregion, in der sich bei normalen Menschen feine Nervengespinste ausgebildet haben, die auf das Schließen und Pflegen von Freundschaften spezialisiert sind, wird bei Herrn Baumer von einer unkontrolliert wuchernden Buchhaltungsabteilung okkupiert, die Tag und Nacht daran arbeitet, seine Bilanz auf den neuesten Stand zu bringen. Erst vor ein paar Monaten herrschte große Aufregung in der Abteilung. Hatten wir doch bei einem netten gemeinsamen Kaffeeplausch glatt festgestellt, dass unsere Wohnung laut Mietvertrag vier Quadratmeter größer ist als die der Baumers. Wir 102 Quadratmeter, sie 98 Quadratmeter. Herrn Baumers Hirnrechenmaschine schaltete sofort in den zwölften Gang.
Um Himmels willen. Er hat vier Quadratmeter mehr. Ein Punkt für Herrn Heisenkamp. Außerdem hat er die Hundert-Quadratmeter-Marke geknackt und ich nicht. Noch ein Bonuspunkt für Herrn Heisenkamp.
Das bedeutete Krieg. Herr Baumer fand in den folgenden Wochen tausend Gründe, warum unsere Wohnung schlechter geschnitten ist als seine. Er machte uns unser Nest dermaßen madig, dass wir uns bald selbst dabei ertappten, wie wir mit zweifelnd hochgezogenen Augenbrauen durch unsere Gemächer schritten und an Umzug dachten. Aber das reichte natürlich nicht, um seine Hirnrechenmaschine zu überzeugen. Deshalb ließ er sich als nächsten Schritt eine gläserne Duschkabine ins Bad einbauen. Seitdem geht es ihm ein wenig besser, denn wir haben ja nur eine Plastikduschkabine.
Aber der Stachel sitzt immer noch tief. Das größte Geschenk, das man Herrn Baumer machen könnte, wäre ein getürktes fachmännisches Gutachten, das zu dem Ergebnis kommt, dass unsere Wohnung nur 95 Quadratmeter groß ist, noch dazu wirklich abartig schlecht geschnitten und nicht zuletzt aufgrund der Plastikduschkabine mindestens fünf Punkte Bilanzabwertung für uns bedeutet. Wenn ich ihn nur ein klein wenig mögen würde, würde ich mir tatsächlich überlegen, ob ich ihm so etwas zum Geburtstag schenke. Ich mag ihn aber nicht. Immer wenn ich nah an ihn herankomme, meine ich irgendwie, eine furchterregende, tiefe Stimme aus dem Chefzimmer seiner Hirnbuchhaltungsabteilung zu hören:
Herr Heisenkamp hat einen Sohn und du nur eine Tochter. Hundert Punkte für Herrn Heisenkamp. Das holst du nie wieder auf.
Frau Baumer ist im Gegensatz zu Herrn Baumer sehr nett. Sie plaudert gerne drauflos, ist hilfsbereit wie drei barmherzige Samariter, und ich frage mich jeden Tag, wer es zugelassen hat, dass sie an Herrn Baumer geraten ist. Ich bin froh, dass Frau Baumer nett ist. Wenn sie so wäre wie Herr Baumer,
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