Schief gewickelt (German Edition)
Ich fasse es nicht. Wortlos trabe ich hinter Daniel her und schnappe ihn mir. Ja. Er hat wieder Kuchen an der Windel. Wie vorhin Klara. Ich scanne mit einem scharfen Rundumblick alle für Kinder erreichbaren Sitzflächen auf der Terrasse. Nichts. Wo kommt das nur her?
Tante Hilda zupft mich am Ärmel.
»Markus, du bist doch ein Medienmensch. Was meinst du? Ich habe das Gefühl, man könnte langsam mal was bringen, was euch, also die neuen Papas, ganz groß herausstellt. Euer Leben, eure Nöte, eure geheimen Träume. Und auch so modetechnisch. Eben alles auf den Punkt gebracht. Weißt du, was ich meine?«
Keine Ahnung, was sie meint.
»Hm ja, ich glaub schon.«
»Also, wenn du eine Idee hast, ruf mich an. Ich hab im Moment mindestens fünf offene Ohren dafür.«
»Geht klar. Ich behalts mal im Hinterkopf.«
»Und das hier solltest du lieber eintrocknen lassen.«
»Tante Hildaaaaa! Tante Hildaaaaa!«
Die Kinder fordern ihr Recht ein. Tante Hilda rauscht ab, und ich grüble immer noch, was sie gemeint hat. Aus den Augenwinkeln sehe ich Greta mit einem Stück Schokoladenkuchen in der Hand zu Daniel auf dem Bobby-Car tapsen, Daniel steht kurz auf, Greta legt ihm das Kuchenstück auf den Sitz, und er nimmt wieder Platz. Ich starre Greta mit offenem Mund an. Sie setzt ihr bezauberndes Lächeln auf.
»Hab ein Weichsitz macht.«
»Hast du … toll gemacht, Greta.«
*
Wieder zu Hause angekommen, widme ich mich kurz vor dem Schlafengehen für eine halbe Stunde meinen spärlichen Außenkontakten. Mein geliebter großer Bruder Hubert hat mir natürlich die fällige Spottmail zum gestrigen Bundesligaspieltag als Abendlektüre geschickt. Zur Illustration hat er Fotos von einem verzweifelten Duisburger und einem jubelnden Dortmunder heruntergeladen und reinkopiert. Ich schmeiße das Machwerk in den Papierkorb und leere ihn anschließend dreimal. Als ob ich keine anderen Sorgen hätte. Ich fotografiere mein versautes Hemd, style es in Photoshop zum Dortmund-Trikot um und schicke es ihm als Antwort.
4 S TRAWINSKY
Die Woche hat uns wieder. Simone: 6:30 Uhr Flug ab Berlin-Tegel, ich: 6:35 Uhr erste Windel wechseln, überkochende Milch bändigen, Daniel beruhigen. Eigentlich hat ganz Berlin diese famosen Gasherde. Da stellst du den Milchtopf zehn Sekunden auf die kleinen blauen Flämmchen, hältst den Finger als lebendiges Thermometer rein und drehst ab, sobald es warm wird. Aber unser Hausbesitzer hielt es für einen technischen Fortschritt, das Gas aus dem Haus zu verbannen und Elektroherde einzubauen. Bis die Milch da mal warm wird, dauert es Jahre. Dann willst du zwischendrin irgendwie die Zeit nutzen, suchst deinen zweiten Pantoffel oder kämpfst mit einer abstehenden Haarsträhne und zack – Milch-Atompilz überm Topf, Gestank, Kind wütend und du immer noch im Halbschlaf und trotzdem mittendrin im Chaos.
Aber diese Phase ist inzwischen längst überstanden. Wir sind sauber und angezogen, haben gefrühstückt und ein paar Bilderbücher gelesen. Und jetzt, bei Tageslicht und mit ganz geöffneten Augen, fällt die nächste Windel schon viel leichter.
Meistens zumindest.
»Ich mach mir den Wutz steif.«
»Nein, nicht den Wutz steif machen. Sonst kann ich dir die Windel nicht anziehen.«
Zu spät. Das kleine Ding zeigt senkrecht in die Luft. Daniel lacht zufrieden. Simone würde ihm jetzt einfach den Stängel nach unten biegen und ihm trotzdem die Windel anziehen. Ich bringe das aber nicht übers Herz. Wenn das einer mit mir machen würde. Arrgh. Ich warte lieber und versuche Daniel abzulenken, damit er nicht wieder dran reibt.
Immerhin, zwei Tage haben anscheinend gereicht, um ihn von Penis auf Wutz umzuschulen. Und drei Wochen noch, Freundchen, dann bist du im Kindergarten. Drei Wochen, das ist so wenig, dass ich heute richtig Lust habe, ein paar Unternehmungen zu machen, bei denen ich es normalerweise hasse, dich dabeizuhaben. Einfach, um die Vorfreude zu steigern.
Einkaufen zum Beispiel.
Nachdem der Wutz nach einer kleinen Ewigkeit wieder windelkompatibel ist, schließe ich die Klettverschlüsse und hebe Daniel von unserem praktischen Waschmaschinen-Wickeltisch herunter. Zum Supermarkt muss man drei Straßen überqueren. Eigentlich kein Problem. Nimmt man den Kleinen eben dreimal fest an die Hand, schaut mit ihm zusammen nach Lücken zwischen den Kilometerfressern und saust im richtigen Moment los. Das Dumme ist nur, dass irgendjemand vor ein paar Jahren die blöde Idee hatte, das Kinderlaufrad zu
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