Schief gewickelt (German Edition)
kommen. Ich muss sanfte Gewalt anwenden. Die anrollenden Autofahrer sehen es gelassen. So ein entzückender überforderter Papa mit seinem süßen kleinen Laufradbengel stimmt selbst den rabiatesten Rechtsabbieger gnädig. Nur mein Puls halt wieder. Aber egal. Wir haben es geschafft.
Im Supermarkt angekommen, gelingt es mir, Daniel zu überzeugen, dass es besser ist, das Laufrad vor dem Drehkreuz stehenzulassen. Klingt wie ein Wunder, ist aber ausschließlich einer anderen, im Gegensatz zum Laufrad wirklich genialen neuzeitlichen Erfindung zu verdanken: dem Einkaufswagenauto. Vorne Kinderauto, hinten Einkaufswagen. Quasi modernste Hybridtechnologie. Vorne sitzt der Knirps drin und denkt, dass er lenkt. Hinten schiebe ich und lenke in Wirklichkeit. Macht einem das Leben wirklich leichter. So etwas hatten unsere Vorväter wiederum überhaupt nicht auf dem Schirm. Wahrscheinlich, weil sie nie einkaufen mussten. Nur ein bisschen Geld verdienen, ein bisschen in den Krieg marschieren und auf Familienfotos den strengen Rohrstockschwinger mimen. Weicheier.
Früher war ich ja, im Gegensatz zu den meisten anderen, ein begeisterter Supermarkteinkäufer. Den Einkaufswagen elegant durch unmögliche Engpässe schlenzen, Schwung holen und mich hinten draufstellen und ein Dutzend Extrarunden drehen, bis hinter jeder Einkaufszettelposition ein Häkchen stand, war mein höchster Spaß. Seit ich mit Daniel einkaufen muss, setze ich dagegen strikt auf Effizienz. Ich habe mich in kürzester Zeit zu einem großen Meister des rationellen Einkaufszettelschreibens entwickelt. Die Warenreihenfolge ist immer exakt auf die Supermarktdramaturgie abgestimmt. Erst Obst und Gemüse, dann Kühlregal, dann Käsetheke und so weiter.
Beim Abklappern der Haltestellen muss ich aufpassen, dass ich mit dem Wagen nicht auf Kinderarmlänge an die Waren herankomme, weil Daniel sonst seine eigene Einkaufstour durchzieht. Neulich musste ich mal unter den Augen der Kassiererin eine Dose indonesische Fischsuppe, eine offene Senftube sowie ein mit Senf beschmiertes Herrenmagazin aus seiner Autokabine herausfischen. So was kann man vermeiden, wenn man ein Auge auf den Abstand hat. Wenn außerdem noch die süßwarenfreie Kasse besetzt ist, ist das schon mal die halbe Miete.
Aber eben leider nur die halbe. Ganz fies und absolut nicht zu vermeiden sind die Überraschungseiständer, die an jeder strategisch wichtigen Kreuzung platziert sind. Ein Überraschungsei ist deswegen schon mal auf jeden Fall der Grundzoll, ohne den ich Daniel aus keinem Supermarkt wieder herausbringe. Ich muss sogar froh sein, wenn es nur bei einem Überraschungsei bleibt. Nach Daniels Logik ist nämlich pro passiertem Überraschungseiständer ein Ei fällig. Und ab fünf Eiern noch ein Bonusei.
Auch nicht ohne ist das Glasbecken, in dem die lebenden Karpfen feilgeboten werden. Fischegucken findet jeder kleine Knirps toll. Theoretisch könnte ich Daniel vor dem Todesaquarium parken, in Ruhe meinen Beutezug hinter mich bringen und ihn hinterher wieder abpflücken. Aber wehe, Oma Krause hat heute Karpfen auf ihrem Menüzettel. Dann schnappt sich die Verkäuferin ein Fischlein, zückt das Hackebeil und zack, zack, bitte schön, darf es sonst noch was sein? Und ich muss dann einen schwer traumatisierten, leichenblassen, stummen Knaben zum Kinderpsychologen schleppen. Nein, nein. Fischegucken nur unter Aufsicht und ganz schneller Abgang, wenn robuste Damen mit großen Einkaufstaschen und Mordlust in den Augen anrücken.
Eine etwas bessere Kinderparkstation ist da schon der Kindercomputer ein paar Regalreihen weiter. So ein kleines Malprogramm nagelt Daniel ebenso zuverlässig vor dem Bildschirm fest wie mich früher Space Invaders an der Telefunken-Palcolor-Glotze. Schade nur, dass die anderen Kinder natürlich auch ranwollen und jeweils nur einer der Glückliche sein kann. Nun soll ja so hin und wieder ein kleiner zwischenkindlicher Konflikt mit anschließender Einigung im Prinzip nicht schlecht für die Entwicklung eines stabilen weltmännischen Charakters sein. Aber Daniel interpretiert die Aufgabe eher in Richtung: »Piesacke die anderen so lange, bis du den Computer für dich alleine hast.« Und ich muss dann die heulenden kleinen Mädchen trösten, die empörten großen Jungs überreden, Daniel nicht zu verhauen, und mich bei den betroffenen Eltern entschuldigen.
Der frühe Nachmittag ist aber eine gute Zeit. Der Computer ist frei. Daniel klettert aus seiner Fahrerkabine und startet das
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