Schief gewickelt (German Edition)
Malprogramm so routiniert wie ein Jungmanager seinen Laptop. Ich sehe noch kurz zu, wie er beginnt, weiter an seiner Stellung als Jackson Pollock der Touchscreen-Malerei zu arbeiten, und mache mich dann dezent vom Acker.
Das anvisierte Finale furioso unserer gemeinsamen Einkaufszeit wird heute wohl ausfallen, denke ich, während ich mein halbverwaistes Hybridfahrzeug durch die Warenschluchten lenke. Essigessenz, Küchenkrepp, Brechbohnen. Ob die Dame an der Kasse mich auch noch so lieben wird, wenn ich demnächst ohne Daniel vor ihr auftauche? Naturjoghurt, Frischkäse, Vollmilch. Oder bricht dann wieder die Altberliner Kodderschnauze durch? Vollmilchschokolade, Haferflocken, Dinkelmehl. Wahrscheinlich. Aber ist mir egal. Frauen, die nur auf billige Kindchenschlüsselreize anspringen, können mich kreuzweise. 100 Gramm Kernschinken, 100 Gramm Serrano, 100 Gramm Putenbrust, vielen Dank. Hauptsache, ich muss nicht mehr dauernd aufpassen. Apfelsaft, Traubensaft, Karottensaft. Einkaufen wird für mich künftig so erfrischend sein wie ein Gang durch einen morgentaubenetzten Zen-Garten. Fischstäbchen, Pizza Funghi, Schokoladeneis. Und die Story, wie Daniel einst Löwensenf und nackte Mädels zusammenführte, wird noch in vielen Jahren einen guten Lacher geben.
Hm, da fällt mir ein, zu den Zeitschriften könnte ich auch noch gehen. Siebter Gang von links. Au weia. Die Magazine für meine Altersgruppe sind im Moment absolut monothematisch unterwegs. Scarlett Johansson. Überall. Überall? Solche Behauptungen sollte man eigentlich nur nach gründlicher Recherche aufstellen. Ich blättere mich sorgfältig durch etwa zehn Magazine. Doch. Überall. Scarlett Johansson und ihre spärlich verhüllten Mädels. So was aber auch.
Jetzt Daniel vom Bildschirm lösen, bezahlen und ab nach Hause.
O nein, er ist weg!
Der Hocker ist leer, und das Malprogramm zeigt eine unheilschwanger schwarz-rote Farborgie. Das kann nicht wahr sein. Daniel hat sich noch nie auch nur einen Meter vom Kindercomputer wegbewegt, außer um mich zu holen und mir zu sagen, dass ich die anderen Kinder wegschubsen soll. Aber es ist weit und breit kein anderes Kind zu sehen.
Wie viele Monate kaufe ich schon mit Daniel ein, und was ist nicht alles schon passiert. Aber nie, nie habe ich ihn verloren. Ich gebe ja zu, dass ich insgeheim noch auf eine gute Anekdote gehofft hatte, irgendwas, was ich noch hinterherschieben kann, wenn die Lacher über die Playboy-Senf-Geschichte am Verklingen sind. Aber gefälligst nicht so was Ernstes wie das hier.
Was war das für ein entsetzliches Gefühl, wenn man als Kind seine Eltern im Getümmel verloren hat. Von einem Moment auf den anderen besteht der Körper nur noch aus saurer Milch, tausend Alarmtröten tröten im Dauerton durch den Kopf, und man spürt seine Beine nicht mehr. Komisch. Genau so fühle ich mich jetzt, obwohl die Rollen ja wohl eindeutig vertauscht sind. Wo kann er hin sein? Oder hat ihn jemand mitgenommen? Der Supermarkt wimmelt nur so von Spinnern. Wie konnte ich ihn überhaupt jemals allein am Kindercomputer lassen? Da sitzt er doch wie auf dem Präsentierteller für alle Kidnapper, Perversen und Organhändler. Mein Magen sackt bis zum Anschlag durch. Ich fange an, die Gänge abzurennen.
Brüllen. Ich muss seinen Namen brüllen. Vielleicht haben sie ihn noch nicht betäubt, und er kann noch schreien.
»DAAANIEL!«
War mir gar nicht klar, was ich für ein Organ habe, wenn es drauf ankommt. In wenigen Sekunden weiß der ganze Supermarkt, dass hier einer jemanden namens Daniel sucht. Ich hätte nicht immer Keyboarder in der Band bleiben müssen. Mit dieser Stimme hätte ich als Sänger die Mädels zum Toben gebracht wie Angus Young, Mick Jagger und James Brown im Trio. Ist mir aber jetzt scheißegal. Mit jeder Sekunde schwindet ein Stück Hoffnung, dass das Ganze hier noch gut ausgeht.
»Papa, ich will auch so ganz viele Überraschungseier haben.«
Was? Daniel hat sich von hinten angeschlichen und zieht an meinem Hosenbein. Überraschungseier? Er zeigt auf ein Mutter-Tochter-Gespann, das auch mit einem Hybridmobil unterwegs ist.
»Tut mir sehr leid. Er ist uns einfach hinterhergelaufen, als er die Überraschungseier gesehen hat.«
In der Tat. Gut und gerne fünfzehn Stück hat die Dame da eingeladen. Dagegen ist Daniel ein Waisenknabe. Ich kann es nicht fassen.
»Alle für sie?«
»I wo. Sie feiert morgen Geburtstag und hat Freunde eingeladen. Topfschlagen und so.«
»Papa, ich will auch morgen
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