Schief gewickelt (German Edition)
hören!«
Nichts zu machen. Hier spricht echte Verzweiflung. Also alles wieder auf Anfang, bevor es Tränen gibt.
UMPTA ! TR ÄÄÄ TR ÄÄÄ … UMPATUMPTA ! … UMPTA IHH IHH IHH ! … IHHH ! … UMPATUMPTA ! … TA !!!!!
Und Schluss. Die Tänzerin bleibt schmutzstarrend liegen. Fadeout. Drei Sekunden Stille.
UMPTA ! … UMPATUMPTA ! … UMPTA IHH IHH IHH ! … IHHH ! … UMPATUMPTA !
Das ist wirklich Musik, die geschrieben wurde, damit man sie nie wieder aus den Ohren herausbekommt. Und was haben sie sich jetzt dazu einfallen lassen? Eine hagere Brünette in knapper Sportunterwäsche verrenkt sich auf grünem Kunstrasen. Wilde Männer tanzen heran, machen ihr Angst und ziehen ihr auch noch die letzten Stoffstücke vom Leib.
»Warum haben die Männer die Frau ausgezogen, Papa?«
Oh, oh. Jetzt aufpassen. Nicht das unbeschwerte kindliche Gemüt verstören.
»Vielleicht will die lieber nackich tanzen.«
»Ja, die will bestimmt lieber nackich tanzen.«
IHH IHH IHH ! … UMPTA ! TR ÄÄÄ TR ÄÄÄ … UMPATUMPTA ! … UMPTA IHH IHH IHH ! … IHHH ! … UMPATUMPTA !
»Aber warum tanzt die so komisch?«
»Na ja, das ist halt modernes Ballett. Doch lieber Schwanensee gucken?«
»Nein, mir gefällt der moderne Ballett.«
Indianertanz, Drecktanz, Nackichtanz. Das wird Daniel Simone natürlich alles haarklein erzählen, wenn sie heimkommt. Hoffentlich steinigt sie mich nicht. Den Videomitschnitt hebe ich mal lieber auf. Wer weiß, was sie sonst denkt.
Eine kleine Ewigkeit später sinkt auch die nackte Dame zu Boden und räkelt sich noch ein wenig auf dem Kunstrasen. Warum eigentlich immer dieses pathetische Ende? Französischlexikon her. Ach so. Sacre du Printemps heißt Frühjahrsopfer.
So, das waren jetzt aber die vier Nummern, oder? Nein, waren erst drei. Wäre auch zu schön gewesen.
UMPTA ! … UMPATUMPTA ! … UMPTA IHH IHH IHH ! … IHHH ! … UMPATUMPTA !
*
Dideldum, dideldei, dideldum, dideldei.
Ich sitze in meinem klimatisierten japanischen Kompaktvan und schwebe durch die Stadt, auf dem Rücksitz eine gut bestückte Sporttasche und Walter Wanderley im CD -Player. Ahhh, das sickert so angenehm durch die verwüsteten Gehörgänge. Früher wurde diese Musik immer in Supermärkten gespielt. Immer wenn ich das höre, bin ich wieder Kind und lasse mich von meiner Mama im Einkaufswagen durch die Regalreihen schieben. Hybridmobile gab es zwar damals noch nicht, aber die Musik hatte Stil, und die Bienenkorbfrisuren waren auch tausendmal schöner als die blöden Strähnchen-Strubbelmatten, ohne die sich heute keine Hausfrau mehr unter die Leute wagt.
Ach ja, Musik. Karsten hat vorhin angerufen. Wir sollen den Proberaum leer machen. Jetzt, wo wir schon fast ein Jahr nicht mehr geprobt haben, sei ja wohl klar, dass die Band erst mal aufgelöst ist.
Muss man die Wahrheit immer gleich so hart aussprechen? Gut, Sänger und Keyboarder fast gleichzeitig Papa geworden, Supergau für jede Band. Aber irgendwann werden die Kleinen schließlich auch erwachsen. Dann kann man sich doch wieder treffen und an die alten Heldentaten anknüpfen. Nur, wenn man jetzt einfach so ganz brutal den Proberaum ausräumt, wird das bestimmt nichts mehr. Ich bin überzeugt, dass ein Raum, in dem eine Band jahrelang geprobt hat, eine geweihte Stätte ist. Und wenn man sie erst einmal entweiht hat, wars das dann auch mit der Band. Aber vielleicht bin ich da zu sehr Esoteriker.
Und Karsten hat sogar noch einen draufgesetzt. Er hat gesagt, wenn er noch einmal in seinem Leben ernsthaft Musik machen wollte, würde er sich keine Band mehr suchen, sondern einen Laptop mit guter Soundkarte. Ich war entsetzt. Karsten war unsere Bandmutter. Er hat alles zusammengehalten, Proben organisiert, Gigs klargemacht, Bandbusse gemietet. Er ist, wenn es sein musste, als Einziger nach dem Auftritt nüchtern geblieben, damit wir noch in unsere Betten fanden, und egal, was wir auch angestellt haben, er hat uns immer alles verziehen, sogar, dass wir ihn mal bei einem Gig in Schmöckwitz beim letzten Song gepackt und samt Bass ins Publikum geworfen haben, nur um festzustellen, dass die Schmöckwitzer auch acht Jahre nach dem Mauerfall noch nicht kapiert hatten, wie Stagediving funktioniert.
Wenn Karsten jetzt so was sagt, dann kann das nur heißen, dass wir ihn abgrundtief enttäuscht haben und dass er uns verstößt. Ich bin entsetzt. Über ihn. Über mich. Und davon, dass ich jetzt Simone davon überzeugen muss, dass mein Wurlitzer
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