Schief gewickelt (German Edition)
habe, dass das Laufrad zu schnell ist – für das Bobby-Car gilt das Gegenteil. Es ist genauso lahm, wie es laut ist. Ich träume davon, dass endlich mal jemand ein Kinderfahrzeug erfindet, das in normaler Papafußmarschgeschwindigkeit brav neben mir dahinzuckelt und dem Fahrer freundlich mahnende Stromstöße verpasst, sobald es mehr als drei Meter vorprescht oder zurückhängt.
Wir kommen natürlich zu spät.
»Können Sie mir sagen, wo Gruppe drei ist?«
»Dritte Tür rechts.«
Ich kann mich nicht mehr genau an meinen ersten Schultag erinnern, aber ich glaube, ich bin genauso aufgeregt. Hoffentlich ist die Gruppenleiterin nett.
»Hallo, ich bin Claudia. Und das hier ist bestimmt der kleine Daniel?«
O ja, sie ist nett. Ich bin kein Menschenkenner. Bei mir reicht ein Lächeln, um mich übers Ohr zu hauen, und ich würde mir von jedem Kreisklasse-Pokerspieler das letzte Hemd ausziehen lassen. Ich kann aber irgendwie todsicher erkennen, ob jemand Kinder mag. Muss so ein angeborener Papainstinkt sein. Claudia mag Kinder über alles, sie wollte nie etwas anderes werden als Erzieherin, und sie wird Daniel gut behandeln, auch wenn er noch so nervt. Ich weiß es, und ich bin glücklich.
Daniel hat sich hinter mich gestellt und sein Gesicht in meiner rechten Pobacke vergraben. Die alte Haschmich-ich-bin-schüchtern-Nummer. Zieht immer wieder. Claudia lockt ihn mit Engelszungen, und die anderen Kinder stehen auch schon im Kreis um uns herum.
»Soll ich dir mal unsere Ritterburg zeigen?«
Nach ein paar Minuten kommt Daniel langsam aus der Deckung und lässt sich tatsächlich langsam von Claudia an der Hand zur Ritterburg führen. Sie schaut über die Schulter zurück und bedeutet mir, dass ich verschwinden soll.
Wie jetzt? Einfach so?
Ich meine, ich träume seit Monaten von so was, aber ich kann doch jetzt nicht einfach … Nein, sie meint es ernst. Ich soll verschwinden. Sie guckt schon etwas genervt. Na gut. Ich gebe mir einen Ruck und verschwinde aus dem Gruppenraum. Langsam und nachdenklich schreite ich auf die Ausgangstür zu und komme mir schäbig vor. Aber das hat wohl alles so seine Richtigkeit, versuche ich mich zu beruhigen, als ich die Klinke herunterdrücke.
Da! Daniel schreit.
Ich höre ihn durch alle Türen durch. Jetzt hat er kapiert, was los ist. Nein, das halte ich nicht aus. Sofort kehrtgemacht und im Laufschritt zurück. Er ist einfach noch zu klein.
Die Kindergartenleiterin erscheint aus dem Nichts und hält mich fest.
»Machen Sie das nicht. Geben Sie den beiden eine Chance, sich aneinander zu gewöhnen.«
Strenger Blick. Widerstand zwecklos. Ich gehe raus und setze mich auf eine Bank. Selbst hier kann ich ihn noch schreien hören. Das wollte ich nicht. Es zerreißt mir das Herz.
Die Kindergartenleiterin schaut aus dem Fenster.
»Machen Sie es sich nicht unnötig schwer, Herr Heisenkamp. Gehen Sie doch eine Stunde spazieren. Wir haben ja Ihre Handynummer für den Notfall.«
Notfall? Hallo? Er brüllt wie am Spieß. Wie definiert sie Notfall? Ich sehe, dass sie am Fenster geblieben ist und darauf wartet, dass ich den Schuh mache. So was von abgebrüht. Wahrscheinlich hat sie das schon mit tausend Mamas und Papas durchgehechelt. Immer das Gleiche. Kind kommt, Mama/Papa geht, Kind schreit. Alles ganz normal. Wahrscheinlich hat sie recht. Hoffentlich hat sie recht.
Ich stehe langsam auf, nehme das Bobby-Car und trolle mich. Meine Füße entscheiden sich für irgendeine Richtung, und mein Körper folgt. Es ist heiß geworden. Ich könnte etwas trinken, aber meine Psyche hat sich offenbar für Laufen als Bewältigungsstrategie für das eben Durchlebte entschieden. Ich laufe. Mal rechts abbiegen, mal links. Ich kenne die Straßen, aber heute haben sie nichts mit mir zu tun. Ich laufe in einer Glaskugel, Blick geradeaus und das Bobby-Car-Lenkrad in der Hand. Warum habe ich es überhaupt mitgenommen? Ich hätte es vor dem Eingang stehenlassen können. Jetzt schlackert es mir gegen die Beine und macht mir blaue Flecken. Ich sehe immer wieder auf die Uhr, aber nicht einmal der Sekundenzeiger kommt einigermaßen flott voran. Irgendwie möchte ich das Bobby-Car an mich drücken. Was ist mit mir los?
Ich müsste schwitzen, aber meine Glaskugel hält den Sommer draußen. Neben mir bleibt eine Straßenbahn stehen. Ich steige ein. Was soll ich sonst tun? Drei Stationen fahren und dann zu Fuß wieder zurücklaufen. Vielleicht ein gutes Programm, um die Zeit rumzukriegen. Die Kastanienallee zieht
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