Schief gewickelt (German Edition)
Regionalexpress, und das ist eine Straßenbahn, und jetzt ist aber genug.
»Guck mal, der spielt Riesenpuzzle. Das darf nur der. Du nicht.«
»Ich will aber auch Riesenpuzzle spielen.« Na also. Einmal kurz die Mama angelächelt.
»Er kann ruhig mitspielen. Na komm, wie heißt du denn?«
Fünf Minuten später ist Daniel dermaßen in das Riesenpuzzle vertieft, dass er nicht einmal hochsähe, wenn jetzt ein ICE durch die Scheibe bersten würde. Ich nehme die Mama beiseite.
»Sagen Sie, könnte ich mal kurz für zehn Minuten verschwinden? Wissen Sie, ich muss noch ein Verlobungsgeschenk für meinen Bruder …«
»Aber natürlich. Die spielen doch gerade so schön. Ich passe schon auf.«
Klappt wie am Schnürchen. Ich verschwinde.
So. Wo steht das Verlobungsgeschenk? Irgendwie zieht es mich zu den Filmbüchern.
Modern Divas .
Ein Prachtbildband. Wow, 68 Euro. Nur mal kurz gucken. Nein, Scarlett Johansson ist noch nicht drin. Hoffnungslos veraltet, der Schinken. Ich brauche was anderes. Ich schlendere um die Bildband-Präsentationstische herum.
Manni Burgsmüller – Ein Leben für Borussia Dortmund.
Nein, muss schon auch was für Dörte sein.
Stopp. Hier ist es.
The Photostory of Rock’n’ Roll – von Gene Vincent bis Curt Cobain. Sonderangebot. Das passt perfekt. Und ein kräftiger Schuss Ironie steckt auch mit drin. Meine Herren, der Wälzer wiegt ja zehn Kilo. Egal. Ab zur Kasse.
»Könnten Sie es bitte als Geschenk verpacken?«
»Gerne. Rotes, blaues oder gemustertes Geschenkpapier?«
»Haben Sie auch was … äh … Rock ’n’ Roll iges?«
»Also hier habe ich was mit Totenköpfen. Da müssten Sie aber die ganze Rolle kaufen. Die würde drei neunzig kosten.«
Egal. Wennschon, dennschon. Allmählich fängt es an, Spaß zu machen. Noch ein kurzer Streifzug durch die Wirtschaftsbücher. Existenzgründung. Drei Regalreihen voll. Nein, da brauche ich mehr Zeit. Wenn Daniel endgültig im Kindergarten ist. Gleich am ersten Tag.
Der Kulturkaufhausglasaufzug trägt mich sanft zurück zur Spielzimmeretage. Ich schlendere mit meinem Zehn-Kilo-Totenkopfbrikett an mehreren Millionen Seiten Hochliteratur vorbei und bin nervös. Wenn Daniel jetzt wieder Du sollst noch mal weggehn sagt? Ich glaube, dann breche ich in Tränen aus.
Ich bin da. Vorsichtig stecke ich den Kopf durch die Tür. Kurz mal gucken, was der Kleine so treibt, wenn er sich unbeobachtet fühlt, ist so eine der kleinen Elternfreuden, von denen man nie genug bekommen kann.
Auweia, ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit.
Wenn man sich in Berlin herumtreibt, bleibt es nicht aus, dass hin und wieder das ein oder andere Fernsehgesicht an dir vorbeihuscht. Meist grübelt man dann kurz, in welchem Tatort der gleich wieder den Täter gespielt hat oder ob er bei einer Daily Soap dabei war oder nur jemand aus der FDP -Bundestagsfraktion ist, und am Ende kommt man doch nicht drauf.
Aber dieser Mann, der da mit dem Kleinkind auf dem Schoß am Fenster sitzt, verflixt noch mal, den seh ich doch dauernd. Bella Block? Soko Leipzig? Lindenstraße? Ach nein, jetzt weiß ichs, Tagesschausprecher ist der. Nur hat er kein Sakko an und spricht gerade nicht die Tagesschau. Stattdessen hat er sich mit seiner wahrscheinlich für mehrere Millionen versicherten Tagesschausprecherstimme auf ein Rededuell mit Daniel eingelassen.
Mein Sohn diskutiert im Dussmann-Kinderzimmer mit dem Tagesschausprecher. Der Tag hat sich schon mal gelohnt.
»Also ich sage mal, das ist eine S-Bahn.«
»Aber das ist keine S-Bahn, das ist ein Renalexpress.«
»Na, wenn du das sagst. Aber vielleicht, vielleicht ist das doch eine S-Bahn?«
»Das ist keine S-Bahn, du Blödkopf.«
Er hat zu unserem Tagesschausprecher Blödkopf gesagt.
In so einem Luxusbau wie Dussmann läuft man natürlich nicht auf nacktem Stahlbeton. Da kommt erst ein weicher Teppich, darunter ein Hohlraumboden, in dem alle möglichen Kabel verlegt sind, und dann noch eine Trittschalldämmung. Trotzdem, das mit dem Im-Erdboden-Versinken kannst du einfach vergessen.
Ich ziehe schnell meinen Kopf aus der Tür, verstecke mich hinter dem nächsten Regal und warte, bis der Tagesschausprecher von seiner Frau abgeholt wird. Vielleicht lernt man sich ja bei anderer Gelegenheit kennen.
Als die Luft rein ist, trete ich aus der Deckung und gehe Daniel holen. Schnell noch bei der Aufpass-Mama bedankt.
»Gern geschehen, keine Ursache. Sie haben aber echt was verpasst. Vor einer Minute saß hier noch einer
Weitere Kostenlose Bücher