Schief gewickelt (German Edition)
beunruhigt, ist die Lage im nahen Westen. Mein geliebter Bruder Hubert hat aus heiterem Himmel beschlossen, sich mit seiner Freundin Dörte zu verloben. Kann ja eigentlich sehr nett werden, so eine Verlobungsfeier. Aber ausgerechnet mit dieser blassen, verhuschten Dörte? Außerdem muss es dabei natürlich wieder zwanghaft unkonventionell zugehen. Strictly Rock ’n’ Roll steht auf der Einladung. Da werden wir im Endeffekt dreimal länger über unsere Garderobe nachgrübeln müssen als bei Tante Ernas goldener Hochzeit. Aber vielleicht kann ich noch irgendwo einen Grippevirus für mich klarmachen.
»Jan Ullrich widersprach heute erneut allen gegen ihn gerichteten Dopingvorwürfen. In einem Interview mit …«
»So, jetzt schläft er endlich.«
Simone wirft sich zu mir aufs Sofa. Endlich. Zeit für uns. Jetzt an nichts mehr denken, was irgendwie anstrengend ist oder schlechte Laune macht. Einfach nur zu zweit sein und im Hinterkopf das beruhigende Gefühl haben, dass man sich um den Dritten gerade keine Sorgen machen muss. Ich mag die Tagesschauschlussfanfare In den Siebzigern war sie zwar noch schöner, so mit Querflöten am Ende, aber die neue ist auch okay.
Fernbedienung. Oh, ein alter Münsteraner Tatort im Dritten. Wie schön. Simone legt den Kopf auf meinen Bauch. Daniel, wag es bloß nicht, jetzt noch mal aufzuwachen.
»Ach Markus, geht mir nur gerade so durch den Kopf, weißt du eigentlich schon, was du zu Huberts Verlobung anziehst?«
6 F LUPSILAND
Heute Regen ohne Pause. Als Großstadtpapa kann ich das gelassen sehen. Der Landpapa hat da ein viel größeres Problem. Bei Sonne ist er immer fein raus mit seinem kleinen Privatspielplatz in seinem Einfamilienhausgarten. Aber wenn es regnet, ist er eine ganz arme Sau. Dann schaut er durch sein besprenkeltes Wohnzimmerfenster, sieht, wie die Rinnsale vom Schaukelbrett tropfen und der Sandkasten sich in einen Minipazifik verwandelt. Dabei tätschelt er dem kleinen Racker, der quengelnd an seinem Hosenbein hängt, den Kopf und fragt sich, wie um alles in der Welt er diesen Tag bloß rumkriegen soll.
Der Großstadtpapa blättert dagegen ganz entspannt alle 150 Drinnen-Bespaßungsmöglichkeiten in seinem Kopf durch und pickt sich die besten heraus. In Berlin gibt es Kindercafés, Kindertheater, Kindermuseen, Kinderbauernhöfe, Kinderwerkstätten, Kinderschwimmbäder, Kindersaunen und wahrscheinlich sogar Kinderfitnessstudios.
Daniel und ich treffen uns heute Nachmittag mit Greta und Frau Baumer im Indoorspielplatz Flupsiland an der Schönhauser Allee. Indoorspielplätze sind im Prinzip eine feine Sache. Nicht nur, dass der Regen draußen bleibt. Toll ist auch, dass diese Art Spielplatz richtige Wände hat und keine lumpigen halbhohen Zäune. Sprich: Das Kind saust überall herum, kann aber nicht wirklich verlorengehen. Manchmal kann man sich da sogar richtig entspannen und muss nur ab und zu pusten, wenn es mal wieder eine Beule gegeben hat.
Bevor es zum Indoorspielplatz geht, müssen wir aber noch zu Dussmann und ein Verlobungsgeschenk für Hubert und Dörte kaufen. Dussmann ist großartig. Erstens findet man in den gigantischen Buch- und CD -Gebirgen todsicher ein gutes Verlobungsgeschenk für alle Huberts und Dörtes dieser Welt, zweitens gibt es ein großes Spielzimmer mit pädagogisch wertvollen Spielsachen, Kinderbüchern und als Krönung einen phänomenalen Panoramablick auf die Friedrichstraße. Jetzt sind Kinder natürlich nicht von Natur aus Freunde des gepflegten Panoramablicks. Tendenziell interessieren sie sich eher für das Detail. Wenn der Panoramablick aber, wie hier, im Minutentakt vorbeirollende Züge und Straßenbahnen bietet, bleiben sie gerne schon mal für ein paar Stunden an der Scheibe kleben.
Also, einmal die Kulturkaufhausrolltreppe hoch, zweimal rechts abgebogen und schon sind wir da. Mal sehen, ob ich Glück habe. Rechts vorne eine erschöpfte Mama mit hungrigem Baby und heulendem Kleinkind, das gerade auch was vom Babyessen abhaben will. Nein, die scheidet schon mal aus. In der Mitte sitzt ein strumpfsockiger Papa an die Wand gelehnt und liest den neuen Wladimir Kaminer, während sich sein Fünfjähriger beneidenswert still mit dem Arrangieren von Stofftieren beschäftigt. Auch nichts.
Aber hier: Gutgelaunte Mama spielt mit fröhlichem Blondschopf Riesenpuzzle. Los, Daniel, dein Einsatz. Lach sie an.
Nein, erst mal Züge gucken. Na gut. Das ist ein ICE , das ist ein Regionalexpress, das ist eine S-Bahn, das ist noch ein
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