Schief gewickelt (German Edition)
es ja viele Bikermythen. Wildes Leben, laute Musik, Lederjacke niemals ausziehen, im Restaurant rohes Fleisch ordern und mit dem Springmesser essen, sich durch Rülps-Codes verständigen und in möglichst jeder Hinsicht ein Tier sein. Insofern könnte man meinen, es wäre sehr gut, dass Daniel schläft, während ich ihn vorsichtig in Walters Wohnung schiebe, weil das, was er da vielleicht zu sehen bekäme, ihn ganz schön verstören könnte. Das Spaßige an Bikern ist aber, dass das ganze Tiersein an der Schwelle zur eigenen Behausung sofort aufhört. Da stehen die Ikea-Naturholzregale kerzengerade in Reih und Glied auf dem frisch gesaugten Sisalteppich, alles ist picobello aufgeräumt und riecht nach Persil Color. Wenn es nämlich etwas gibt, vor dem so ein Zwei-Meter-Lederkoloss wirklich Angst hat, dann ist das eine vergammelte Kifferhöhle.
Das kommt mir bei meiner Suche natürlich sehr entgegen. Walters abgelegte Motorradkluften liegen genau da, wo er es angekündigt hat, in einem sauber beschrifteten Umzugskarton in der Abstellkammer. »Jede von denen hat mindestens 200 000 Kilometer abgesessen«, hat Walter gesagt. »Wenn ich mal eine größere Wohnung hab, mach ich mir ein Nostalgiezimmer und häng die Dinger in schöne Glasvitrinen.«
Mal sehen. Ich öffne den Karton. Eine Wolke Lederduft steigt auf. Ich breite die Monturen in einer Reihe auf dem Wohnzimmerfußboden aus und gehe ein paar Mal im Kreis drum herum. Die schwarze Lederkombi hat was. Die würde ich mir aussuchen, wenn ich selber Motorrad fahren würde, aber für das Bobby-Car-Rennen ist die viel zu unauffällig. Die Nylonkombi? Nein. Sieht mehr nach Extrembergsteiger als nach Geschwindigkeitsrausch aus. Aber hier! Weißes Leder mit Nieten und roten und blauen Streifen entlang der Armund Beinnähte. Baujahr schätzungsweise 1971, aber sehr gut erhalten. Besser gehts doch kaum. Ich schlüpfe vorsichtig rein. Na ja, ein klein wenig schlabberig für den Alltag, aber für den einen Auftritt geht das auf jeden Fall. Ich pfeife leise vor mich hin, während ich die anderen Museumsstücke wieder vorsichtig zusammenlege und im Karton verstaue. Feuervogel ade. Hier kommt Motorman. Jetzt nur noch den richtigen Helm dazu.
Leider erweist sich die Erkundung von Walters Helmregal als Euphoriebremse. Wohin der Blick auch fällt, nur Hässlichkeit. Knallbunte Airbrush-Orgien, Blitze, Flammen, merkwürdige Tiervisagen und ein weißer Helm mit Golfballdellen. Sieht noch ganz neu aus. War Walter wohl am Ende selbst so peinlich, dass er ihn nur zu Hause getragen hat.
Ich stecke die weiße Ledermontur in die mitgebrachte Riesenplastiktüte und schiebe den immer noch brav vor sich hin dösenden Daniel wieder aus der Wohnung. Jetzt gehen wir erst mal in den Supermarkt und kaufen was zum Abendessen für uns und Simones Eltern ein. Vielleicht kriege ich dabei noch eine gute Helmidee.
Hm. Feldenkrais-Seminar in Sankt Petersburg. Irgendwie hätte ich spontan auch große Lust dazu. Ich hab zwar keine Ahnung, was Feldenkrais ist, aber es hört sich schön ruhig an.
Im Supermarkt gehe ich ausnahmsweise an den schicken Hybridmobilen vorbei und lasse Daniel im Kinderwagen wagen weiterschlafen. Mein Job hier ist nämlich gar nicht so einfach. In Simones Wahrnehmung sind ihre Eltern hyperarrogante Etepetete-Feinschmecker, deren Ansprüchen man nur mit einer Serie kulinarischer Dreifachsalti gerecht werden kann. In Wirklichkeit sind sie aber ganz normal und glücklich, wenn man ihnen frische und gesunde Hausmannskost vorsetzt. Meine Aufgabe besteht jetzt darin, genau das zu besorgen und dazu noch ein Extraschmeckerchen zu finden, das Simone das Gefühl gibt, dass ein Hauch von Haute Cuisine über unserem Esstisch schwebt.
Schillerlocken zum Beispiel, aber die hatten wir schon letztes Mal. Hm, vielleicht irgendeine Käsespezialität? Ich schiebe Daniel genüsslich am prall gefüllten Überraschungseiständer vorbei Richtung Käsetheke.
Wenn du wüsstest, wo du gerade bist, mein Freund. Aber wenn du aufwachst, sind wir hier längst wieder draußen. Und zwar ohne Ei …
Wobei – das mindert natürlich auch meine Chancen, endlich die wilden Waldwatze komplett zu kriegen. Und irgendwann gibt es dann neue Überraschungseiserien. Wenn mir dann noch ein Waldwatz fehlt, steh ich dumm da und kann noch mal schön von vorne überlegen, wie ich Daniels Studium finanziert kriege. Nein, so weit lasse ich es nicht kommen, denke ich, und lade sechs Überraschungseier in den
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