Schief gewickelt (German Edition)
tanzt schon wieder nackich.«
»Na ja, wie gesagt, ist halt so beim modernen Ballett. Da tanzen die oft nackich. Kannst gerne ein anderes Ballett gucken, wenn dich das stört.«
»Nein, nein. Ich guck die Nackichtänzerin. Ich bin ja auch manchmal nackich.«
Wie schön. Da ist ein kleiner Mensch dabei, schon früh ein ausgewogenes, unverkrampftes Schamgefühl zu entwickeln. Gut, wenn ihm da ein Elternteil als Gesprächspartner zur Verfügung steht.
»Na klar. Jeder Mensch ist mal nackich. Ich auch. Montags nach dem Fußball beim Duschen zum B…«
Zoiiiing!
»Papa, warum rennst du weg?«
Fußball I Andi I Moped I Helm.
Ich bin so eine Trantüte! Torwart-Andi hat seit einem Jahr diese exzentrische Modedesignerfreundin, und die fand seinen eigentlich ganz hübschen orangefarbenen Mopedhelm mit dem Schwarz-Weiß-Karostreifen in der Mitte nicht gut. »Wenn schon retro, dann richtig«, hat sie gesagt. Und dann hat sie Andi einen Helm aus der Ausstattung irgendeines 70er-Science-Fiction-B-Movies geschenkt. Ein Hingucker der Extraklasse. Hochglanzpolierter Chrom, vorne ein herunterklappbares Plastikvisier und hinten eine Gummimatte dran, wie bei einem Feuerwehrhelm. Den trägt Andi seitdem tapfer, weil er sie wirklich liebt.
Und genau dieser Helm wird mich morgen zum sicheren Sieger machen. Hechtsprung zum Telefon.
Komm, geh ran, geh ran …
»Hallo …«
»Hallo Andi, hier ist Markus. Sag mal, könnte ich mir morgen Nachmittag deinen Space-Helm ausleihen?«
»Ach, fährst du auch bei diesem Bobby-Car-Rennen mit?«
»Woher weißt du das?«
»Du bist gut. In der Werbe- und Medienszene ist das Ding seit Tagen Stadtgespräch. Da waren PR -Profis am Werk. Sowohl Modelabels als auch Windelhersteller reißen sich darum, Hauptsponsor zu werden.«
»Ah … so ist das.«
»Gewinn mal schön. Dann bist du womöglich über Nacht ein Star. Hihi.«
»Werd ich, wenn du mir deinen Space-Helm leihst.«
»Oh … Ich glaube, du musst jetzt ganz tapfer sein.«
»Wieso?«
»Du bist zu spät. Becker hat schon vor einer Stunde … Markus, alles in Ordnung bei dir?«
»Ja. Hab nur vor Wut gegen die Wand getreten. Knöchel wird gerade ein bisschen dick …«
»Ich kann dir gern meinen alten Helm leihen. Den orangen. Ganz unter uns, ich finde den sowieso viel schöner.«
*
Ich habe schon wieder mein Brotstückchen im Fonduetopf verloren. Aber wie soll man sich auch vernünftig aufs Essen konzentrieren, wenn man am nächsten Tag ein Rennen hat. Ich stehe unter Druck. Wenn Becker mit Andis Space-Helm die Modewertung gewinnt, muss ich auf jeden Fall der Schnellste sein, um überhaupt noch eine Chance zu haben.
Zum Glück merken Simones Eltern Heiner und Malina nicht allzu viel von meinen kleinen Essdesastern. Sie sind, wie die meisten der anderen Gäste im Nola auch, ganz entzückt von den Tänzen, die Daniel auf der Freifläche in der Mitte des Raums aufführt. Simone guckt etwas säuerlich aus ihrem dunkelblauen Businesskostüm, weil er seinen Kinderteller fast nicht angefasst hat, aber es gab nun mal keine Fischstäbchen, die Musik hat ihm gefallen und im Nola ist viel Platz.
»Wie anmutig er sich bewegt.«
Malina hat schon fast Tränen in den Augen. Ich sitze mit dem Rücken zu der ganzen Veranstaltung und bekomme nur mit, dass er hin und wieder kurze Tanzpausen macht und sich dabei mit dem Gesicht im Schoß seiner Großmutter vergräbt.
Irgendwie fällt mir immer mehr ein Tisch ins Auge, an dem das einzige Paar im Raum sitzt, das sich nicht für Daniels Aufführung interessiert. Die beiden ignorieren sogar den brodelnden Fonduetopf, der gerade vor ihnen abgestellt wurde. Der Typ hat sich in seinen Laptop-Bildschirm vergraben, und die Frau sieht ihm begeistert zu. Hin und wieder reichen sie sich einen riesigen Kopfhörer hin und her.
Je länger ich hinschaue, umso mehr bestätigt sich mein Verdacht. Ich richte mich etwas auf und spähe über die Laptop-Oberkante … Tatsächlich. Bandmutter-Karsten.
Das haut mich jetzt wirklich um. Bandmutter-Karsten mit Bandersatz-Laptop in einem Restaurant – okay. Aber Bandmutter-Karsten mit einer Frau, das gab es wirklich noch nie. Das darf doch einfach nicht wahr sein, wie gut der ohne uns klarkommt. Ich starre wütend auf Laptop und Frau, bis mich Heiner aus meiner finsteren Eifersuchtshöhle reißt.
»Na, und du hast nach wie vor den Alltag gut im Griff mit dem Kleinen?«
»Jaja, ich komm klar. Übung macht den Meister.«
»Ich bewundere dich ja. Als Simone klein
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