Schief gewickelt (German Edition)
lenken, bremsen und zur Not hundert Meter auf dem Rücken über den Asphalt schlittern, aber alles andere kannst du vergessen. Wenn mich jetzt einer umschubsen würde, könnte ich wahrscheinlich nicht mal mehr ohne Hilfe wieder auf die Beine kommen.
»Hier, der Schlüssel.«
»Vielen Dank. Was täte man nur ohne zuverlässige Nachbarn, nicht wahr? Momentchen, bitte.«
Herr Baumer schließt seine Wohnungstür auf und gibt mir den Schlüssel zurück.
»Hier. Falls einer von uns mal wieder …«
»Kein Problem. Allzeit bereit.« Er dreht sich zum Gehen.
Irgendwie fängt mein Mund von selbst zu sprechen an.
»Ach L…udger, eine Frage: Wie findest du meinen Helm?«
Herr Baumer mustert Andis orangen Ex-Helm, als säße ein Alien auf meinem Kopf.
»So ein Helm entspricht heute nicht mehr den gesetzlichen Bestimmungen, Markus. Wenn du dich damit auf ein Motorrad setzt und es passiert was, hast du keinen Versicherungsschutz.«
Ich schließe die Tür und wundere mich über mich selbst. Ich habe tatsächlich Herrn Baumer gefragt, wie er meinen Helm findet. Irgendwie bin ich viel zu unsicher.
Aber seltsam. Das Gleiche scheint heute auch für ihn zu gelten. Herr Baumer ist einfach nicht der Typ, der seinen Schlüssel vergisst. Dann gestern sein Auftritt in der Hose mit den Betonspritzern. Unheimlich. Neulich kam erst wieder Hitchcocks Fenster zum Hof im Zweiten. Brrr, wie der fiese Nachbar da seine ermordete Frau verschwinden lassen will. Baumer, was hast du nur getan?
Aber ich kann mich erst ab morgen drum kümmern. Ich brauche jetzt erst mal eine mentale Trainingseinheit, um Selbstvertrauen für die Rennstrecke zu tanken. Ich schlüpfe aus der Montur, begebe mich in den Lotussitz, schließe die Augen und horche in mich hinein.
Aber der Becker hinter den sieben Bergen …
Verflixt, so wird das nie was.
»Papaaaa, Papaaaa!«
Okay. Das mentale Training muss ich wohl sowieso auf die Mittagsschlafzeit verlegen.
Daniel will auf den Spielplatz. Warum nicht. Frische Luft und andere Gedanken. Sicher nicht verkehrt. Ich darf bloß keine Verletzung riskieren. Keine gefährlichen Rettungsaktionen. Nehmen wir mal lieber einen Spielplatz ohne Klettergerüst.
Nach anderthalb Stunden Spielplatz gehen wir wieder nach Hause. Ich habe kaum Appetit und schaffe nur drei Fischstäbchen zum Mittagessen. Daniel ist wenigstens schön müde vom Draußensein und pennt im Nu weg. Mein erneuter Mentaltrainingsversuch scheitert genauso kläglich wie der erste. Geht halt nicht einfach so. Ich bräuchte einen Guru. Aber einen Guru sollte man sich auf keinen Fall unter Zeitdruck suchen. Also geschissen auf das mentale Training. Augen zu und durch. Keiner kennt die Strecke wie ich, und gegen Biker-Walters weiße Zuhälter-auf-Rädern-Montur könnte Becker noch nicht mal mit drei Space-Helmen anstinken.
Hey, das war gut. Ich fühle mich besser.
Ich lese in paradiesischer Ruhe den Sportteil und schicke anschließend fünf Kilo Buntwäsche auf die Reise im Kreise. Dann ist Daniel wieder wach.
»Kann ich den modernen Ballett …?«
*
UMPTA ! … UMPATUMPTA ! … UMPTA IHH IHH IHH ! … IHHH ! … UMPATUMPTA !
Ruhe bewahren, Markus. Du weißt, es ist nur eine Phase. Irgendwann ist es vorbei, und er will wieder Schwanensee sehen. Immerhin haben wir für heute schon die Hälfte geschafft. Die Indianerin und die Im-Dreck-Wälz-Frau sind schon abgetreten. Jetzt nur noch die vermaledeite nackte Tänzerin und der Blitzmann.
Es klingelt. Kleine Strawinskypause für mich.
»L…udger?«
»Es ist nicht zu glauben, Markus. Ich bin schon wieder ohne meinen Schlüssel los. Entschuldige bitte. Irgendwie bin ich heute ein wenig konfus.«
»Macht nichts. Warte, ich hole ihn schnell.«
Wieder ins Wohnzimmer, den Schlüssel aus der Schublade kramen. Seltsam, seltsam. Was führt der Mann nur im Schilde? Diesmal fällt mir Hitchcocks Bei Anruf Mord ein. Ist da nicht einer wegen Mordes drangekriegt worden, weil er zur falschen Zeit den falschen Schlüssel aus dem falschen Versteck geholt hat, oder so ähnlich? Vielleicht ist das alles ein abgekartetes Spiel, und ich stehe morgen unter Mordverdacht?
Sehen Sie hier, Euer Ehren, dieser Schlüssel wurde benutzt, um die Wohnung der Baumers in der Mordnacht aufzuschließen. Das konnten unsere Experten anhand der mikrolastkahnischen Untersuchungsergebnisse einwandfrei nachweisen. Und dreimal dürfen Sie raten, wessen Fingerabdrücke wir auf dem Schlüssel gefunden haben …?
Wahrscheinlich mache ich gerade
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