Schief gewickelt (German Edition)
herunter, dass wir von Glück reden können, dass es keine Maulsperre zu beklagen gibt. Es gibt keinen Zweifel. Die Dame hat gerade Herrn Baumers türkisgrünen Jogginganzug heiliggesprochen. Aber gegen das Wort einer Koryphäe sollte man lieber nicht andiskutieren.
Im gleichen Moment stolpert Herr Baumer blass, verstört und knapp einer Verhaftung entgangen aus dem Polizeiwagen zurück zu uns. Kurze Stille, dann bricht spontaner Jubel los, wir schnappen ihn und werfen ihn in die Luft.
Der Moderator ergreift das Wort.
»Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Nachdem nun unsere verehrte Modejury ihr ebenso überraschendes wie weises Urteil gesprochen hat, kommen wir zur Gesamtwertung. Eine kurze Vorbemerkung: Es kamen Stimmen auf, dass einer unserer Fahrer aufgrund einer unzulässigen technischen Manipulation am Bobby-Car disqualifiziert werden müsste. Die Regelkommission hat sich dazu beraten und einstimmig festgestellt, dass kein Regelverstoß vorliegt – ganz einfach, weil vorher irgendwie keiner daran gedacht hat, überhaupt Regeln aufzustellen, hahaha. Damit dürfte es auch keinen Zweifel mehr daran geben, wer der Gesamtsieger ist. Aber dazu später. Viel spannender ist jetzt erst mal, wer den Kampf um die Plätze gewonnen hat.«
Stille. Ich sehe Becker an, Becker sieht mich an.
»Beginnen wir mit dem dritten Platz. Dritter Sieger im ersten Berliner Bobby-Car-Rennen iiiiiiist …«
Nein, bitte! Ich fang zu heulen an, wenn er jetzt Danieeels Papaaa sagt.
» KEINEEER !« Hä?
»Warum keiner, meine Damen und Herren? Ganz einfach – es gibt einen geteilten zweiten Platz. Und ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen: zweiter Platz Zeitwertung, achter Platz Modewertung DANIEEELS PAPAAA und achter Platz Zeitwertung, zweiter Platz Modewertung FRITZ-BERTRAAAMS PAPAAA !«
Was? Das kann nicht sein Ernst sein. Es hilft nichts. Ich muss gemeinsam mit Becker vortreten und aufs Treppchen. Zeit und Mode gleich stark werten – wer hat sich das bloß ausgedacht? Becker streckt mir die Hand hin. Zum Glück kann ich kein Jiu-Jitsu, sonst würde ich jetzt vielleicht etwas Unüberlegtes tun.
Das matte Höflichkeitsgeklatsche verebbt schnell.
»Meine Damen und Herren, und nun bitte ich um grenzenlosen Applaus für den Star des Tages:
DEN SCHRECKEN ALLER KLEINWAGENFAHRER! DEN MODEMAGIER VOM PRENZLAUER BERG! DEN SOUVERÄNEN SIEGER ALLER KLASSEN IM ERSTEN BERLINER BOBBY-CAR-RENNEEEN!
GRETAAAS PAPAAA !
LUDGEEEER BAUMEEEEEEEEEEEER !!!!!«
Als dem verdatterten Herrn Baumer der Pokal und der Reisegutschein in die Hand gedrückt werden, kennt der Jubel keine Grenzen mehr. Wir werfen ihn so hoch, dass man ihn bis zum Rosenthaler Platz sehen kann. Nur der Durst bringt uns schließlich dazu, von ihm abzulassen und uns wieder unseren Getränken zuzuwenden.
Das Kaspertheater neigt sich inzwischen dem Ende zu. Der Kasper fragt die Kinder noch einmal ab, ob die Lehren der Geschichte verstanden wurden.
»Und welche Windeln sollen eure Eltern das nächste Mal kaufen, damit euch das Krokodil nicht in den Po beißt?«
»Schnufti!«
»Und welche Farbe haben die Schnufti-Windeln?«
»Blau!«
»Und was schreit ihr ganz laut, wenn eure Eltern weiße Windeln kaufen wollen?«
»Blaue Windeln! Blaue Windeln! Blaue Windeln! Blaue Windeln!«
Leider ist das Schnufti-Kaspertheater so stabil gebaut, dass es nicht einstürzt, als es von elf gleichzeitig aus der Fahrerecke geworfenen Bierflaschen getroffen wird. Ich fange gerade an, mich zu wundern, warum es nicht zwölf Bierflaschen waren, als ich neben mir Becker in sich hineingrinsen sehe.
Alles klar. Schnufti-Windeln. Wichtigster Kunde der Werbeagentur Sieben Zwerge. Creative Director: Armin Becker. Er hat sich diese teuflische Blauwindel-Quengelterror-Verkaufsstrategie ausgedacht!
Während ich nach einer weiteren Bierflasche suche, um sie ihm auf den Dez zu zimmern, kommt Daniel zu mir.
»Ich muss Pipi.«
Mir läuft ein warmer Schauder den Rücken runter. Seit Monaten versuche ich ihn zu überreden, mir Bescheid zu sagen, wenn er Pipi machen muss, damit wir endlich mit dem Klotraining anfangen können. Bisher dachte er gar nicht dran und machte einfach weiter seine Windeln voll, während links und rechts von uns immer mehr Kinder trocken wurden. Ich kann mein Glück kaum fassen.
»Du musst Pipi? Jaha, dann wollen wir mal auf die Toilette gehen, was?«
»Ja, weil wenn ich den Pipi in die weiße Windel mach, dann kommt das Krokodil und beißt mich in den Po.«
Sieh
Weitere Kostenlose Bücher