Schief gewickelt (German Edition)
für eine halbe Stunde bei Kaisers. Mein Magen beginnt in die Tiefe zu sacken, und Daniel zieht an meinem Hosenbein und fragt nach Fischstäbchen. Simone kommt wieder und verschwindet für eine weitere halbe Stunde in der Küche. Mein Magen ist inzwischen im untersten Keller angekommen. Das hat zumindest den Vorteil, dass Daniel die Knurrgeräusche lustig findet und darüber vergisst, weiter zu nerven. Simone ruft zum Essen. Daniel würdigt die Leckereien auf seinem Teller keines Blickes und Simone ist bald den Tränen nahe. Um das Schlimmste abzuwenden, greife ich in die Trickkiste. Ich pikse mir einen Happen von Daniels Teller auf.
»Ich ess jetzt dein Essen.«
»Nein!«
Ich halte die Gabel vor meinen aufgerissenen Mund und tue so, als ob ich den aufgespießten Brocken gleich verschlingen würde.
»Neiiin! Du darfst nicht mein Essen haben!«
Daniel schnappt energisch zu, als ich ihm die Gabel vor seinen Mund halte. Zehn Gabeln später ist die komplette Portion in seinen Magen gewandert. Neid schlägt Essensrenitenz. Eine taktische Meisterleistung. Danke, Superpapa.
Aber nein. Simone guckt drein, als stünde das Jüngste Gericht bevor, und zieht sich mit Kopfschmerzen zurück. Ende des Stücks. Luftholen.
Mütter. Wie haben sie es schwer. Was haben sie nicht alles durchgemacht. Weiß jeder. Irgendein für uns nicht sichtbares Kinderparlament hat deswegen schon vor langer Zeit einstimmig beschlossen, es den Müttern wenigstens in einem Punkt leichtzumachen: Die praktischen mütterfreundlichen Fischstäbchen wurden per Dekret zum allgemeinen Kleinkind-Lieblingsmittagessen erklärt, sofortige Aufhebung der Renitenzpflicht, stattdessen Begeisterungs-, Verschling- und Mehrwoll-Gebot. Das sollte Entlastung bringen. Einfache Zubereitung, keine aufwendige Logistik, keine Grübelei über Essenspläne. Und die Mütter? Wollen das Geschenk nicht annehmen, wollen leiden, wollen verzweifeln.
Ich bringe Daniel ins Bett. Ein Kuss und noch ein Lied gesungen. Das reicht. Sein Kopf steckt zwar zu drei Vierteln in einer riesigen Stoffkatze, aber wenn man genau hinhört, erlauscht man das selige Schnurcheln. Jetzt eine Stunde Stille. Zeit für mich.
Ich bin pflichtbewusst. Ich lasse sowohl die Wochenendzeitung als auch die nicht aufgeräumte Küche links liegen und klappe meinen Laptop auf. Je früher ich mein Start-up in bis dato unbekannte Gewinnzonen steuere, umso besser für uns alle. Konzentration. Also, das Konzept steht so weit. Ich muss jetzt die ultimative Powerpoint-Präsentation zusammenschrauben, die auch den dümmsten, schwerfälligsten, glatzköpfigsten Venture-Capital-Manager dermaßen die Dollarzeichen in die Augen treibt, dass er keine blöden Fragen mehr stellt und den Geldkoffer aus dem Auto holt. Ich hasse Powerpoint. Jeder, der früher mal anspruchsvolle Screendesigns für große Marken entworfen hat, hasst Powerpoint. Es ist schlicht unter meiner Würde, mit diesem Bürohengst-Primitivprogramm zu arbeiten. Immerhin waren meine Entwürfe früher so gut, dass sie selbst noch überzeugt haben, nachdem Becker sie mit seinen Spinnenfingern angefasst hatte. »Feinschliff«, hat er immer gesagt. Blöde Sandsackfresse. Aber ruhig Blut. Becker hat vor zwei Wochen auch einen Sohn bekommen. Im Moment brauche ich den Sandsack gar nicht unbedingt. Es reicht, wenn ich mir vorstelle, wie Beckers Nächte gerade feingeschliffen werden.
So, jetzt nicht abschweifen. Die Zeit ist knapp. In einer Stunde muss das Ding stehen. Das ist der Stoff, aus dem Legenden sind, für die ganzen Talkshows und so:
»Herr Heisenkamp …«
»Sagen Sie ruhig Markus zu mir. Machen alle.«
»Sehr gerne. Also, Markus, wann hatten Sie eigentlich die phänomenale Idee, die dem Tec DAX sein erfolgreichstes Unternehmen eingebracht und Sie zum reichsten Mann Europas gemacht hat?«
»Das war irgendwann im Sommer 2007. Da war ich noch, Sie werden es nicht glauben, hauptberuflich Papa, haha. Mein Sohn hat gerade Mittagsschlaf gemacht, mir war langweilig, da hatte ich die Idee, und weil ich gerade eh nichts Besseres zu tun hatte, hab ich das Ganze mal schnell in meinen Laptop gehackt. Hat nicht länger als eine Stunde gedauert. Dass alles so groß werden könnte, hab ich mir natürlich nicht träumen lassen. Aber wissen Sie, es ist nicht nur die Idee. Hinter meinem Erfolg steht auch die Arbeit hunderter hochmotivierter Mitarbeiter, denen ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte, und …«
Danken. Genau. Vierzig Jahre später.
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