Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
wollte."
„Sie sagen, Crane sei ein Mörder", äußerte der Kommissar ruhig. „Ich bezweifle das übrigens."
May schluckte und blickte den Kommissar aus großen Augen an. „Wie bitte?"
„Sie haben mich ganz gut verstanden. Ich bezweifle Cranes Schuld an dem Mordfall Patricia Dwoning!"
„Aber alles spricht doch gegen ihn!"
„Eben."
„Soll das heißen, daß Sie ihn für einen Verrückten halten . . . für einen nicht völlig zurechnungsfähigen Amokläufer?"
„Soweit wir das beurteilen können, handelt es sich bei Ray Crane um einen ausgesprochen intelligenten Menschen."
„Wenn dem so ist, hat er die Flucht ergriffen, weil er sich der Folgen seines Handelns klar bewußt war."
„Oder", berichtigte der Kommissar milde, „der Folgen der gegen ihn sprechenden Indizien. Das ist ein nicht unbeträchtlicher Unterschied, mein Freund."
„Ein gut' Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen", dozierte May. „Es geht doch nichts über die alten Sprichwörter. Die haben es in sich, Kommissar. Wenn Crane wirklich der Unschuldsengel wäre, für den Sie ihn offenbar halten, hätte er als kluger Kopf den einzigen Weg gewählt, der ihm blieb: mit Hilfe eines geschickten Verteidigers hätte er sich bemüht, alle sogenannten Indizien zu zerpflücken. Statt dessen rast er in wilder Panik davon und überzeugt auf diese Weise uns und alle Welt von seiner Schuld..."
„Mich hat er bis jetzt keineswegs überzeugt.“
„Aber Sie haben doch selbst dafür gesorgt, daß der Steckbrief gegen ihn erlassen wurde."
Morry grinste. „Vielleicht", erwiderte er, „ging es mir nur darum, den wirklichen Mörder in Sicherheit zu wiegen?"
„Sie glauben . . .“ japste May.
„Ich glaube, daß Patricia Dwonings Mörder frei und unerkannt in dieser Stadt umherläuft."
„Gibt es Anhaltspunkte für diese Meinung?"
„Eigentlich nur zwei: das Fehlen eines plausiblen Motivs und..."
May unterbrach den Kommissar. „Entschuldigen Sie, Sir, aber da muß ich Ihnen widersprechen. Wir wissen doch, daß die beiden oft genug Krach hatten. Crane kann im Affekt gehandelt haben."
„Einem Menschen, den man heiraten will, gibt man im Affekt eine Ohrfeige . . . aber man ersticht ihn nicht."
„Ich lasse mich gern belehren. Wie geht es weiter?"
„Ich habe mich mit vielen von Cranes ehemaligen Kunden unterhalten. Sie schildern ihn als freundlich, begabt und beherrscht. Den Beschreibungen zufolge ist er keineswegs ein Mann, der im Affekt handelt. Wenn er überhaupt eines Verbrechens fähig ist, so wird er dieses Verbrechen mit kühler Überlegenheit planen und zu Ende führen. Statt dessen rief er uns an und berichtete mit allen Anzeichen des Entsetzens, daß man seine Verlobte ermordet habe . . .“
„Dafür hatten die Zeitungen doch eine sehr einleuchtende Erklärung", meinte May. „Der Mord war einfach zuviel für Cranes Nerven. Er brach nach der Tat zusammen und nahm sich vor, alles zu gestehen."
„May, Sie sollten nicht alles für bare Münze nehmen, was sich die Zeitungsschreiber ausdenken. Die Theorie, die von den Leuten in der Fleet-Street entwickelt wurde, weist einen unübersehbaren Bruch in der Logik auf. Ein Mensch, der einen Mord plant und ausführt, findet auch die Kraft, die Leiche zu verbergen. Es kann sein, daß er Wochen oder Monate später, erdrückt von der Last des Gewissens, zusammenbricht und ein Geständnis ablegt. .. aber so blitzartig, wie sich die Zeitungsleute das zusammenreimen, geht es wirklich nicht. Selbst wenn wir unterstellen wollen, daß Crane in der bekannten Situation einen Schock erhielt, müssen wir doch auch mit der Angst vor der Entdeckung und der Schande rechnen . . . ja, auch mit der Furcht vor dem Henker. Nein, May, ich kenne mich ein bißchen in der Kriminalgeschichte aus. Ein Fall von der Beschaffenheit, wie ihn die Zeitungen bei Crane konstruieren, ist mir bisher noch nicht bekannt geworden."
„Wenn er wirklich unschuldig wäre, hätte er sich doch längst gemeldet... sei es durch einen Brief oder durch einen Anruf", gab May zu bedenken. „Es muß ihm doch daran liegen, seine Unschuld zu beweisen."
„Wir werden schon noch von ihm hören."
„Wir haben schon von ihm gehört", meinte May grimmig.
„Ja, richtig", seufzte der Kommissar. „Rufen Sie doch bitte mal den Doktor an und erkundigen Sie sich, wie weit man gekommen ist."
„Wird erledigt, Kommissar."
May ging zur Tür. „Moment mal", rief Morry. „Erinnern Sie sich an das, was Crane bei der ersten Vernehmung in seiner Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher