Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
außer der Blässe seines Gesichtes erinnerte nichts in seinem Auftreten daran, daß er sich erst vor wenigen Stunden in wilder Verzweiflung über den Körper seiner niedergeschossenen Frau geworfen hatte.
„Gegen einen Whisky wäre nichts einzuwenden."
„Scotch oder Bourbon?"
„Scotch, wenn es Ihnen nichts ausmacht."
Graham stand auf, ging zu einem Wandschrank und füllte zwei Gläser. Einer in den Schrank eingebauten Kühlbox entnahm er einige Eiswürfel. „Mit Soda?"
„Danke, ich nehme ihn lieber pure."
„Genau wie ich", meinte Graham und kam zurück. Er reichte Ray ein Glas und setzte sich dann. „Auf dem Tisch rechts von Ihnen finden Sie Zigaretten", fügte er hinzu.
Ray roch an dem Whisky. Es war eine gute Marke, so teuer wie alles in diesem Hause.
„Nennen Sie mir den Preis", sagte Graham.
Ray schaute den Hausherrn an, als ob er nicht recht begreife, worauf dieser anspiele.
„Sie wollen mir doch meine Pistole verkaufen . . . ist es nicht so?" fragte Graham.
Du lieber Himmel, dachte Ray, Grahams Pistole! Ich habe sie ganz vergessen. Jetzt spürte er sie wieder in der Tasche, hart, kantig und schwer . . .
„Nicht unbedingt, obwohl sich darüber verhandeln läßt. Ich wollte mich vor allem nach dem Befinden von Mrs. Graham erkundigen."
Der Hausherr starrte in das Feuer. Er gab keine Antwort.
„Sie ist also tot?" fragte Ray.
Graham antwortete noch immer nicht, und Ray nahm sich eine Zigarette aus dem Jadekästchen, das er neben sich auf der Tischplatte fand. Nachdem er sich die Zigarette in Brand gesteckt hatte, erkundigte er sich: „Was beabsichtigen Sie nun zu beginnen?"
„Ich glaube, darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig.“
„Stimmt genau. Was sind Sie eigentlich von Beruf, Mr. Graham?“
„Warum interessiert Sie das?“
Ray zuckte mit den Schultern.
„Ach, nur so...“
„Diplomat", sagte Graham. „Handelsattache."
„Sie sind also häufig außer Landes, nicht wahr?"
„Das bringt mein Beruf so mit sich."
„Sie werden einen Weg finden, mich außer Landes zu schmuggeln."
Graham starrte ihn an.
„Schmuggeln?" echote er verblüfft.
„Naja . . . es muß doch irgendeinen Weg geben, um England mit Ihrer Hilfe zu verlassen."
„Mein lieber Freund, das ist ganz ausgeschlossen. Versuchen Sie nicht, mich zu erpressen. Das ist einfach absurd. Wir sitzen schließlich im gleichen Boot, wenn Sie mir diesen simplen Vergleich erlauben wollen. Wenn wir uns einigen, dann nur auf der Basis vernünftiger Verhandlungen . . . oder, um genauer zu sein, auf der Grundlage gegenseitiger Hilfe."
„Einverstanden. Verschaffen Sie mir die notwendigen Papiere, und ich gebe Ihnen die Pistole zurück!"
„Sie verkennen die Situation. Solange die Leiche meiner Frau nicht gefunden wird, ist die Waffe ohne Bedeutung. Nein, Sie müssen schon ein wenig mehr einsetzen..."
„Zum Beispiel?"
„Schaffen Sie die Tote aus dem Haus..."
„Sie müssen verrückt sein!"
„Stellen Sie sich doch nicht so an, Crane. Schließlich sind Sie ein routinierter Mörder..."
„Sie täuschen sich. Aber lassen wir diesen Punkt beiseite. Ich denke nicht daran, Ihre Forderung zu erfüllen. Wenn man mich mit der Leiche erwischen sollte..."
„Niemand wird Sie dabei ertappen", unterbrach Graham. „Sie fahren mit meinem Kombi, den ich sonst für Jagdausflüge benutze, an die Küste. Dann werfen Sie den mit Steinen beschwerten Körper von einer hohen Klippe ins Meer . . . das ist alles."
Ray blickte den Hausherrn kopfschüttelnd an. „Ich muß mich über Sie wundern. Gestern noch . . . nein, heute glaubte ich, Sie hätten im Affekt gehandelt und wären nach der Tat das Opfer echter Verzweiflung geworden. Ich stand unter dem Eindruck, daß Sie Ihre Frau wirklich lieben . . . aber jetzt bezweifle ich, Sie richtig beurteilt zu haben."
„Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber. Natürlich habe ich meine Frau geliebt. Aber wenn der Mensch, der einem alles bedeutet, ganz kalt Ihren Tod plant, ändert sich die innere Einstellung. Es ist, als zerspränge eine Saite. Eigentlich bin ich froh, daß alles so gekommen ist..."
„Man wird ohne Zweifel schon sehr bald umfangreiche Nachforschungen anstellen . . ."
„Gewiß. Aber darauf bin ich vorbereitet. Schon morgen werde ich die Polizei anrufen und melden, daß ich meine Frau vermisse. Bei der Vernehmung werde ich zu Protokoll geben, daß Ann leider die meisten Nächte gegen meinen Willen außer Haus verbrachte . . . und daß sie sich häufig in
Weitere Kostenlose Bücher