Schiff der tausend Träume
Celeste, ein paar rosa Dahlien in der Hand, während sie mit ihrem Vater in der prächtigen Eingangshalle des St. Matthew’s stand und zusah, wie sich die Zeiger der Uhr auf drei zu bewegte. Dann würde die Besucherglocke läuten.
»Ihr geht es heute nicht sehr gut«, warnte die Schwester sie. »Sehr weinerlich … Sie hat solche Anfälle. Trotzdem könnte Ihr Besuch ihre Stimmung aufhellen.« Celeste war schon zum dritten Mal hier, hatte die Patientin bisher aber noch nicht zu Gesicht bekommen. Diesmal war sie fest entschlossen, mit eigenen Augen zu sehen, was mit May passiert war. Sie betrachtete das Krankenhaus mit einer gewissen Bewunderung. Für die Art der Einrichtung war es sauber und zweckdienlich und in großem Stil gehalten.
Langsam folgten sie der Schwester, der Kanonikus blieb kurz stehen, um Luft zu holen, und lehnte sich auf seinen Stock. Auch er hatte keinen guten Tag erwischt, wollte Celeste aber unbedingt begleiten.
Die Schwester deutete auf eine Frau, die über einen Tisch gebeugt saß und mit den Fingern an etwas arbeitete. Sie schaute nicht auf, als die Schwester verkündete: »Sie haben wieder Besuch, Mrs Smith.«
»May?« erkundigte Kanonikus Forester sich. »Wie geht es Ihnen heute?«
Er erhielt keine Antwort. Sie schien in ihre Spitzenklöppelei vertieft. »Ich habe jemanden mitgebracht, die Sie sehen möchte. Schauen Sie, erkennen Sie sie wieder?« Der Kanonikus berührte sie lächelnd an der Schulter. Celeste trat vor und versuchte, sich ihren Schreck darüber, wie blass, dünn und verhärmt May wirkte, nicht anmerken zu lassen. Wäre sie dieser Frau auf der Straße begegnet, hätte Celeste sie nicht erkannt. Wo war die kräftige May geblieben, die sich nach den Worten ihres Vaters nichts von Grover hatte gefallen lassen, als er vorbeigekommen war, und sich gegenüber diesem Tyrannen behauptet hatte.
»May … ich bin es, Ihre Freundin Celeste, endgültig zurück aus Amerika.«
May drehte den Kopf, starrte sie an und erkannte sie zunächst nicht. Dann, nachdem es ihr eingefallen war, bedeckte sie die Augen mit den Händen. »Verzeihung, wer sind Sie?«
»Ich bin Celeste, Ihre Brieffreundin aus den Vereinigten Staaten, Ihre Freundin.«
»Meine Tochter stand ohne Vorwarnung vor meiner Tür. Das ist so schön, nach all den Jahren. Sieht sie nicht gut aus? Und ich habe einen Enkel, so groß.« Kanonikus Forester hob die Hand, um die Größe anzudeuten, aber er sah, dass May nicht zuhörte.
Eine eigenartige Dunkelheit lag über ihren Gesichtszügen, tiefe Falten auf der Stirn. Wie konnte das dieselbe Frau sein, die so lebhafte Briefe geschrieben hatte, die Florrie Jessup geohrfeigt hatte? Was war denn nur schiefgelaufen mit ihr?
May schaute sie mit leeren Augen an, bemüht, sich auf ihre Gesichter zu konzentrieren. »Das ist lange her. Ich vergesse alles. Tut mir leid, wenn Ihre Reise vergebens war«, erwiderte sie und wandte sich wieder ihren Klöppeln und Fäden zu, als habe sie mit der Anwesenheit ihrer Besucher nichts zu tun.
»Natürlich bin ich hier, um mich bei Ihnen für alles zu bedanken, was Sie getan haben.« Celeste setzte sich und drängte sich ihrer Freundin förmlich auf. »Sie haben meine Briefe umadressiert und mich aufgeheitert, wenn ich niedergeschlagen war. Jetzt bin ich hier, um Ihnen zu helfen, damit es Ihnen bessergeht. Wir haben uns noch so viel zu erzählen.«
»Ich bin keine gute Gesellschaft, Ma’am. Ich habe es nicht verdient, dass es mir bessergeht.« Sie kehrte ihnen erneut den Rücken zu, doch so leicht wollte Celeste nicht aufgeben.
»Dann lassen Sie uns helfen, damit Sie sich besser fühlen. Gibt es irgendetwas, das wir Ihnen mitbringen sollen? Um Ihre Tochter müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie ist in guter Obhut. Ich habe sie erst gestern gesehen. Sie macht Ihnen alle Ehre. Wir werden sie einen Tag zu uns holen, damit sie meinen Sohn Roddy kennenlernt. Er kann es kaum erwarten.«
»Sie ist nicht meine Tochter.«
»Natürlich ist sie das. Wer hat Ihnen das denn in den Kopf gesetzt?«
»Ich bin nicht ihre leibliche Mutter. Ich tauge nichts als ihre Mutter.« May begann zu weinen, und eine Schwester trat vor.
»Ich habe Sie ja gewarnt … kein guter Tag. Solche Gedanken treiben sie um. Die Ärzte tun, was sie können.«
»Das ist doch alles Quatsch. Ich habe die Kleine im Rettungsboot in ihren Armen gesehen … Wir haben zusammen Schiffbruch erlitten. So haben wir uns kennengelernt. Ich verdanke ihr so viel. Sie ist eine hervorragende
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