Schiff der tausend Träume
Familie Marks lebte, aber in Lichfield hatte er ein so großes Haus noch nie gesehen.
Er hatte seine eigenen Zimmer, ebenso wie Grandma Harriet im anderen Flügel des Hauses. Sein Vater schien Tag und Nacht zu arbeiten, und wenn er spät abends nach Hause kam, war er meist gereizt. Die Versprechen, die er an Bord der
Olympic
gemacht hatte, von Dingen, die sie als Vater und Sohn gemeinsam unternehmen würden, waren längst vergessen und nie wieder erwähnt worden.
Nichts hier war so, wie er es erwartet hatte. Immerhin hatte er sich in der Schule mit einem Jungen namens Will Morgan anfreunden können. Niemand sonst hatte außerhalb der USA gewohnt, und keiner interessierte sich für sein Leben, bevor er nach Akron gekommen war. Alles, wofür die anderen Jungen sich interessierten, war das Vorankommen der Akron Pros in der National Football League. Und sie lernten fleißig für gute Noten, die die meisten von ihnen an die Ostküste nach Harvard oder Yale bringen würden. So weit voraus konnte Roddy noch nicht denken. In seinem jungen Leben hatte er schon zu viele Veränderungen erlebt.
Er wusste nur, dass er einen furchtbaren Fehler begangen hatte, seinem Vater zu vertrauen, und konnte immer noch nicht so ganz begreifen, wie er aus dem Londoner Theater auf die
Olympic
in Southampton gekommen war. Seine Erinnerung lag im Nebel. Doch jetzt war er hier, und sein Vater war sehr stolz darüber, auch wenn er nicht oft zugegen war, um etwas mit ihm zu unternehmen.
Nicht, dass seine Tage langweilig waren! Es gab Reitstunden und Fahrstunden vom Chauffeur in dem neuen Automobil, das in der Auffahrt stand, und Nachhilfestunden in Biologie und Chemie, damit er später in die Diamond Rubber Company einsteigen könnte. Es war, als wäre sein ganzes Leben schon vorgeplant, als bewegte er sich nur wie ein Schlafwandler darin.
Als er an der einsamen Statue des Indianers stand, der sein Kanu auf dem Rücken trug, stellte er sich die mühsamen Wanderungen der Indianer vom Cuyahoga zum Tuscarawas vor, von einem Fluss zum anderen, und dazwischen nur Wald. Manchmal fühlte er sich, als würde auch er mit einer schweren Last auf dem Rücken herumwandern, die ihn niederdrückte.
Seine Großmutter sagte ihm immer wieder, er solle aufrecht gehen und nicht so gekrümmt herumschlurfen, sonst werde er einen Buckel bekommen. Ihr war sehr wichtig, was andere Leute dachten. Die Parkes waren Mitglieder der feinen Gesellschaft. Sie trafen sich mit den reichen Gummibaronen und deren Familien, und Roddy war froh über Moms frühere Benimmkurse, in denen sie mit den Mädchen geübt hatten, Gesellschaften zu geben und höflich mit alten Damen zu reden. »Denk daran: stell immer eine Frage. Zeig Interesse an deinem Gast und sieh zu, dass er sich wohl fühlt.« Die Worte seiner Mutter klangen ihm im Ohr, Worte aus der Zeit in Washington, und dann überfiel ihn Traurigkeit. Zumindest würde er sie bei diesen Anlässen nicht enttäuschen. Er versuchte, seinen englischen Akzent beizubehalten, doch das ärgerte seinen Vater ungemein. »Du bist ein Yankee, vergiss bloß diese komische Aussprache!«
Andere fanden seinen Akzent wundervoll, vor allem die Mädchen in der Kirche und die alten Damen. Gelegentlich baten sie ihn, bestimmte Sätze mehrfach zu wiederholen, bis er sich vorkam wie ein Affe im Theater.
Er hatte alles bekommen, was er sich nur wünschen konnte: ein schönes Haus, Pferd und Wagen, eine gute Schule, eine herrliche Landschaft drum herum. Warum war ihm nur so elend zumute? Zwischen all diesen Dingen des Wohlstands und Erfolgs fehlte etwas, irgendetwas sehr Wichtiges, aber Roddy konnte nicht genau bestimmen, was es war.
Doch wie die Antwort auch lauten mochte – es hinterließ eine große Leere in seinem Herzen.
77
»Mrs Forester, könnten Sie wohl die Amerikaner für die Tour nach Stratford übernehmen?«, erkundigte sich Safara Fort am Telefon.
»Natürlich, sehr gern«, antwortete Celeste der Agenturleiterin von
Universal Aunts
. »Woher aus Amerika stammen sie denn?«, fügte sie hinzu in der Hoffnung, sie kämen aus Ohio. Celeste saß am Fuß der Treppe, presste den Hörer ans Ohr und lächelte. Sich bei
Universal Aunts
zu bewerben, hatte ihr praktisch das Leben gerettet. Es war eine neuartige Agentur mit Hauptsitz in London, die Reisebegleitung, Wohnungseinrichtung, Kinderbetreuung, Recherchearbeit und alle Arten von mehr oder weniger ungewöhnlichen Diensten anbot. Die Arbeit war dadurch sehr vielfältig – manchmal ganz banal,
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