Schiff der tausend Träume
gemacht hatte. Doch alles, was nicht rostiges oder reparaturbedürftiges Metall war, schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen.
So sehr sie ihre Freundin auch liebte, ärgerte sie sich dennoch so langsam über die Unordnung in Haus und Garten. Überall ließ Celeste ihre Sachen liegen und vergaß sie dann sofort. Eine unordentliche Tochter war schon genug, aber zwei Menschen, die überall Chaos verbreiteten, zerrten ihr an den Nerven. Eines Morgens dann, als May eine alte Ausgabe der
Times
wegräumte, sah sie, dass Celeste die Stellenanzeige einer Vermittlung für Hauspersonal eingekreist hatte. Es war ein Anfang. Zum ersten Mal seit Monaten empfand May einen Anflug von Hoffnung. Sie schnitt die Anzeige aus und legte sie Celeste auf den Schreibtisch.
Als Celeste zusammengesunken über ihrem Kakao saß, packte May die Gelegenheit beim Schopf.
»Hier, warum antwortest du nicht darauf?«, fragte sie und hielt ihr den Zeitungsausschnitt unter die Nase. »Es kann doch nicht schaden, mal zu fragen, was sie dort wollen, oder? Du hast viel zu viel Zeit zum Grübeln, und das führt zu nichts, das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
Celeste blickte auf und schüttelte lächelnd den Kopf. »Der liebe Gott wusste schon, was er tat, als er dich in mein Leben brachte, so viel ist sicher.«
»Also dann los! Wozu sind Freunde denn da, wenn sie einander in schweren Zeiten nicht beistehen? Ich tue doch nur, was du in der Vergangenheit auch für mich getan hast. Weißt du noch, was du immer gesagt hast? ›Wenn ich zu tun habe, denke ich nicht nach.‹ Irgendwann wird alles gut werden, glaube mir, aber warum probierst du bis dahin nicht etwas Neues aus? Es kann nur helfen.«
76
Akron
Roddy stand auf dem ehemaligen Indianerpfad Portage Path. Er hatte die Indianerstatue betrachtet und sah nun in Richtung Westen, wo früher die Grenze zwischen dem Land der Indianer und den Vereinigten Staaten verlaufen war. Er ließ den Blick über die waldigen Hügel schweifen und versuchte sich vorzustellen, wie es in alten Zeiten gewesen sein musste, aber er war nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Er hatte Heimweh nach der flachen Landschaft von Trent Valley, nach seiner alten Schule und der Kathedrale in Lichfield, nach dem kunterbunten Leben im Red House. Doch am meisten sehnte er sich nach seiner Mutter.
Seit er den Brief erhalten hatte, in dem stand, dass sein Großvater an eben jenem Tag verstorben sei, an dem er vor vielen Monaten per Schiff nach New York aufgebrochen war, fühlte er sich schrecklich und wünschte, er hätte umkehren, seinem Großvater die letzte Ehre erweisen und seine Mutter trösten können. Wie sehr hatte es sie schmerzen müssen, Vater und Sohn am selben Tag zu verlieren!
Er blickte über die hohen Bäume hinweg bis ins tiefe Tal des Cuyahoga, der sich am Rand der Stadt entlangschlängelte. Hier standen vereinzelt Häuser am Portage Path. Das Gebiet des Country Club breitete sich immer weiter auf das Territorium der Indianer aus, drängte sie mehr und mehr außer Sichtweite.
In dieser Gegend war er geboren, aber es fühlte sich nicht so an, als gehörte er hierher. Es war ein großer Fehler gewesen, von seiner alten Familie wegzulaufen. Doch was geschehen war, war geschehen, und er sah keinen Ausweg.
Er dachte an Ellas anklagenden Brief, in dem sie schrieb, er sei ein Verräter und undankbarer Mistkerl. Was konnte er darauf schon erwidern? Sie nahm kein Blatt vor den Mund und ließ ihn ganz genau wissen, wie unglücklich seine Mutter war und wie krank, seit er sie verlassen hatte.
»Sie macht sich Vorwürfe, weil sie dich nicht nach London begleitet hat, und wenn niemand hinsieht, weint sie, also komm nach Hause und bring sie wieder zum Lächeln.«
Immer wieder hatte Roddy den Brief gelesen und sich abscheulich gefühlt. Er hatte noch nicht oft nach Hause geschrieben, nur einen Kondolenzbrief an seine Mutter und Onkel Selwyn mit ein paar kurzen Zeilen über seine neue Schule. Er hatte ein wenig über Grandma Harriet dazugeschrieben, aber verschwiegen, dass sein Vater eine ständige Begleiterin hatte, Miss Louella Lamont, die manchmal in der Kirche neben ihnen saß und zum Tee kam. Sie war recht hübsch in ihren schicken Kleidern, doch ihre Stimme klang wie ein Nebelhorn.
Das Haus seines Vaters, Oak Court, lag weit oben im Distrikt West Hill. Es hatte farbige Ziegelsteine, Statuen im Garten, Obstgärten und eine Pferdekoppel. Es war nicht so groß wie das Anwesen der Seiberlings oder wie Elm Court, wo die
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