Schiff der tausend Träume
etwas. Aber du hast mich auf eine Idee gebracht.«
»Oh, das tue ich doch nicht deinetwegen.« Hazel grinste. »Wenn du aus Lichfield weggehst, habe ich bei Ben Garratt freie Bahn. Wie ich schon sagte: Man kann nie genug lernen.«
79
Aufgeregt ging Celeste im Wohnzimmer hin und her. »Ich habe einen neuen Auftrag … und ratet mal, wo! Da ist eine Familie in Boston, deren Tochter in Birmingham bei Verwandten der Cadburys gewohnt hat. Sie hat Heimweh und will nach Hause, aber die Elias’ wollen nicht, dass sie allein fährt. Und als Begleitung möchten sie jemanden, der schon mal in Amerika war. Ist das zu fassen? Ich kann kostenlos in die Staaten reisen! Jetzt wird mich niemand mehr davon abhalten, Roddy zu sehen. Von Boston nach Cleveland kann ich leicht einen Zug nehmen. Als Miss Fort ihnen erzählte, dass ich eine Überlebende der
Titanic
sei und mehr als geeignet für diese Aufgabe, war alles geklärt. Sie kümmern sich sehr fürsorglich um Miss Elias … Phoebe … und ich kann sie jetzt schon sehr gut leiden. Ich werde Harriet Parkes schreiben und verlangen, dass ich meinen Sohn sehen darf.«
»Du solltest sie lieber nett darum bitten, meinst du nicht auch?«, schlug May behutsam vor. Sie wusste, wie sehr Celeste ihren Sohn vermisste, und war besorgt, dass die Hoffnungen ihrer Freundin grausam zerstört würden. Wie sie diesen Grover einschätzte, würde er ihrer Forderung nicht so mir nichts, dir nichts nachkommen.
»Ja, du hast natürlich recht. Mit Geduld und Spucke …« Celeste lachte. So fröhlich war sie schon seit Monaten nicht mehr gewesen. »Familie Elias wird auch meine Rückreise bezahlen, und ich habe noch ein bisschen Geld von meinem Vater …«
»Du willst Roddy also nicht wieder herbringen?« Es war die große Frage, die bisher niemand zu stellen gewagt hatte, aber May spürte, dass sie es tun musste.
Celeste schüttelte den Kopf. »Ich habe mich damit abgefunden, dass ich ihn verloren habe, bis er alt genug ist, für sich selbst zu entscheiden. Aber ihn nach all den Jahren wiederzusehen … Ich kann es kaum erwarten! Und wer weiß …?«
Sie verließ mit so beschwingtem Schritt den Raum, dass May den Kopf schüttelte. Das Leben im Red House war neuerdings ein großes Kommen und Gehen.
Sie war immer noch ganz mitgenommen von den letzten Ereignissen um Ella, die nicht lockergelassen und immer wieder gebettelt hatte, sie wolle auf eine Kunsthochschule gehen. Man hatte sie in die Schule zitiert und um eine Erklärung gebeten, warum Ella abgehen wolle. Dann wurde ein Stipendium beantragt. Jetzt fuhr Ella jeden Tag mit dem Bus zum Walsall College of Art, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Chancen ihr mit dem Verlassen der Oberschule entgingen.
Miss Hodge hatte versucht, Ella zum Bleiben zu bewegen, aber wie immer, wenn das Mädchen sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, begannen ihre Augen zu leuchten, und niemand konnte es ihr wieder ausreden. May hatte nachgegeben in dem Bewusstsein, dass Ella später immerhin an einer guten Schule Kunst unterrichten könnte, falls alles andere schiefginge. Und im Grunde war sie stolz, dass die Kunstschule Ellas eingereichte Mappe sofort als gut erachtet hatte. Wie konnte sie Ella überhaupt etwas abschlagen?
Es war seltsam, sie nachmittags nicht mehr im Haus zu haben. Nach der Schule war sie immer auf ihren langen Beinen ins Haus gestürmt gekommen, hatte erleichtert den Hut in die Ecke geworfen, die »Kohlenkähne« von Schuhen, wie sie sie lachend nannte, abgestreift und beim Hochlaufen der Treppe zwei Stufen auf einmal genommen. Jetzt war es im Red House ruhig, fast zu ruhig, bis Ella – meist spät und von Kopf bis Fuß mit Gipsrückständen oder Farbe bedeckt, aber strahlend – zurückkehrte. May seufzte. Das war alles Selwyns Schuld.
Eines Morgens hatte er ihr beim Frühstück Ellas Zeichnungen unter die Nase gehalten. »Für ein Mädchen ihres Alters sind die verdammt gut. Sie hat originelle Ideen und einen eigenen Stil. So etwas kann man nicht lernen. Das ist angeboren. Ihr Talent sollte nicht unter dem Gewicht einer nüchternen schulischen Ausbildung verrotten.«
Er hatte mit hochtrabenden Worten um sich geworfen, die sie manchmal gar nicht verstanden hatte, aber Ellas Talent war nicht zu leugnen, und May wusste, von ihrer Familie hatte sie es nicht geerbt. »Sie hat eine Chance verdient, findest du nicht?«
Selwyn wusste genau, wie er sie herumkriegen und ihre Bedenken zerstreuen konnte. Auch Celeste
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