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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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formte sich eine eigenartige Figur: zwei Gestalten, die voller Verzweiflung die Arme in die Luft reckten, während eine dritte zwischen ihnen eingeklemmt war und sie auseinanderdrängte. Sie ließ ihre Hand über das Papier gleiten, bis sie vor Erschöpfung innehielt.
    Wenn sie auf die Kunsthochschule ginge, würde man ihre Arbeiten sehen wollen. Irgendwo musste sie ja anfangen, warum also nicht jetzt?
    Ella spürte, dass ihr Kopf vor Ideen nur so schwirrte. Doch gleichzeitig veränderte sich in diesen Monaten auch ihr Körper, wurde voller, runder, weicher. Wenn sie morgens mit den anderen Mädchen in Zweierreihen zur Oberschule ging, fuhren Jungen mit Fahrrädern auf ihrem Weg zum King-Edward-Gymnasium an ihnen vorbei, zwinkerten ihr zu und pfiffen. Dann wurde sie rot, weil sie wusste, dass sie ihre weiblichen Rundungen und ihr schwarzes Haar bewunderten, das geflochten war, um die Locken zu bändigen.
    Hazel starrte einem Jungen nach und kicherte. »Der mag dich.«
    »Hör auf«, gab Ella barsch zurück und versuchte, ihre Freude zu verbergen, auch wenn die Schuljungen in Lichfield recht gewöhnlich aussahen mit ihren dünnen Beinen, abstehenden Haaren und Pickeln, kein bisschen wie Michelangelos wunderschöne Statuen oder Edward Burne-Jones’ Ritter der Tafelrunde. Sie rümpfte die Nase und tat, als hätte sie das Pfeifen nicht gehört.
    »So machst du es nur noch schlimmer.« Hazel stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite. »Ich wünschte, Ben Garratt würde mich so ansehen, wie er dich ansieht.«
    »Ich habe keine Zeit für Ablenkungen in meinem Leben. Ich will Künstlerin werden. Wir müssen unsere Gefühle in unsere Arbeit fließen lassen und dürfen sie nicht an Zwölftklässler verschwenden«, erwiderte sie verächtlich.
    »Was du nicht sagst, Ella Smith! Ich habe aber gelesen, dass Künstler ein sehr kompliziertes Liebesleben führen. Denk nur an Miss Garman. Meine Mutter sagt, sie lebt jetzt mit einem verheirateten Mann in London – was für ein Skandal!« Hazel sah lustig aus, wenn sie so von oben herab redete, dachte Ella – ihre Nase wurde dann kraus wie die eines Kaninchens.
    »Ach, du meinst ihren Liebhaber Jacob Epstein, den Bildhauer?«
    »Und sie hat ein Kind von ihm bekommen …«
    »Na und? Künstler leben eben anders.«
    »Ich finde seine Porträts komisch und hässlich. Du willst doch nicht so sein wie er, oder?«, fragte Hazel entsetzt.
    »Ich weiß noch nicht, was für einen Stil ich finden werde«, erwiderte Ella.
    »Pass bloß auf, was du sagst, sonst bekommst du noch Ärger mit Miss Hodge.«
    »Keine Sorge. Meine Mutter würde mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn sie uns jetzt hören könnte.« Ella lachte. »Am liebsten würde ich sofort mit meiner Karriere beginnen, anstatt bei all den langweiligen Büchern festzusitzen.«
    »Man kann aber nie genug lernen, sagt mein Stiefvater immer.« Hazels Mutter hatte gerade George, den Soldaten, geheiratet.
    »Aber ein Künstler zu sein, muss man auch richtig lernen! Ich will das ständig machen, nicht nur zwei Stunden in der Woche.«
    »Dann geh zur Kunsthochschule. Cynthias Bruder ist auch dort.« Hazel seufzte. »Der sieht ja so gut aus!«
    »Aber wohin?«, rief Ella. »Ich kann doch nicht von zu Hause weg.«
    »Da gibt es Walsall, Birmingham, viele Orte … Du könntest mit dem Zug fahren.«
    »Aber ein College kostet Geld, und zu Hause waren wir schon immer knapp bei Kasse, obwohl es jetzt leichter ist, seit wir im Red House wohnen. Vielleicht ginge es mit dem Schiffsgeld.«
    »Welches Schiffsgeld?«, wollte Hazel wissen.
    »Der Scheck von der Wohlfahrt für meinen Dad. Ich habe das Formular einmal gesehen, und in der Ecke ist ein Schiff aufgedruckt. Ich wollte Mum fragen, aber ich erinnere sie nicht gern an meinen Vater. Ich war noch ein Baby, und zu Hause sprechen wir nicht darüber. Mum wird dann immer ganz traurig. Es ist schon ewig her, und dann der Krieg und alles … Ihr bekommt nichts für deinen Vater, oder?«
    »Doch, es gab eine Witwenrente, ein kleines Taschengeld, aber ich glaube, das hat aufgehört, seit Mum wieder geheiratet hat. Du würdest mir fehlen, wenn du weggehst.« Hazel griff nach ihrem Arm, als wollte sie sie aufhalten.
    »Ach, wir werden doch immer Freundinnen sein. Wir können uns an den Wochenenden sehen. Aber ich bin gar nicht sicher, ob ich von der Schule abgehen darf. Die Dame von der Wohlfahrt wird es wissen. Sie kümmert sich um unsere Geldangelegenheiten … ob wir noch Anspruch haben und so

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