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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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kämpfen zu sehen. Seine eigene kurze Soldatenkarriere im Großen Krieg reichte ihm vollauf. Wie konnte seine eigene Familie jemals »der Feind« sein? Ihm schwirrte der Kopf von all den Gedanken, und die Beine schmerzten ihm vom Stehen.
    Als er auf seine Taschenuhr blickte, seufzte er erleichtert auf. Bald wäre es vorbei, und dann gab es hoffentlich etwas zu essen und zu trinken. Kirchen machten ihn nervös, weil er dort über alle Möglichkeiten des »Was wäre wenn?« nachdachte und über seine »Seele«. Gott sei Dank war die Prohibition mittlerweile vorüber. An einem Tag wie diesem brauchte ein Mann eine vernünftige Stärkung.

101
    1937
    Ella betrat den Ausstellungsraum und versuchte, nicht zu zittern und nicht in die Ecke zu sehen, in der ihre Arbeiten ausgestellt waren, für den Fall, dass dort niemand stand. Sie hatte zuerst allein hingehen wollen, um sich an die ungewohnte Umgebung zu gewöhnen, bevor Archie und Celeste mit ihren Freunden zu ihrer Unterstützung eintrafen.
    Hätte ihr doch nur jemand gesagt, wie schrecklich es war, seine eigenen Kunstwerke öffentlich auszustellen! Sie war durch ganz Europa gereist, hatte Gemälde und Statuen betrachtet und wie selbstverständlich die Arbeit von anderen Studenten begutachtet. Jetzt, da ihre Werke neben anderen standen, neben zierlichen Keramiken voller Phantasie, neben figürlichen Skulpturen aus Metall, gewunden und verdreht, neben wunderbaren Landschaftsgemälden und Porträts an den Wänden, fühlte sie sich klein und unbedeutend.
    In diesem Krönungsjahr gab es eine besondere Ausstellung von Arbeiten junger Künstler aus den Midlands, ein Vorzeigeprojekt für neue Talente, und einige Stücke waren zum Verkauf angeboten. Keiner würde davon leben können, aber es bestand die Chance auf eine Erwähnung in der
Birmingham Post
, und das wäre ein Meilenstein auf dem Weg zu öffentlicher Anerkennung.
    Ella hatte sich stundenlang mit der Entscheidung gequält, welche Arbeiten sie ausstellen sollte. Schließlich hatte sie sich für die Büste eines Kindes entschieden, die sie von einem der Geistlichen zurückerbeten musste, dem sie sie bereits geschenkt hatte, für die klassische Studie einer Hand sowie für eine ganz frische Arbeit, zu der sie auf ihrer letzten Studienreise nach Venedig und Florenz inspiriert worden war.
    Die vielen Bilder der »Madonna mit Kind« in den Uffizien hatten sie sehr beeindruckt, vor allem die
Madonna mit dem langen Hals
von Parmigianino. Sie hatte die berühmtesten Gemälde fotografiert und auch Bilder von Müttern und spielenden Kindern auf den Straßen gemacht.
    Aus einem dieser Schnappschüsse zog sie nach ihrer Rückkehr ihre Inspiration: eine Mutter, die mit gespreizten Beinen dasaß und ihr schlafendes Kind in den Falten ihres Rockes wiegte. Es lag etwas Entspanntes und gleichzeitig Ergreifendes darin, wie ihre Form einer Pietà ähnelte. Ella spürte den Stolz und die Traurigkeit des Mutterseins und wusste, dass es sie in ihrem eigenen ungelösten Konflikt mit der Vergangenheit berührte. Durch das liebevolle Erschaffen dieser Figuren war etwas Neues und Dynamisches in ihrem Werk entstanden.
    Jetzt ging sie herum, hielt ihr Weinglas umklammert und hoffte, dass es kein Fehler gewesen war, ihre Arbeiten zusammen mit anderen berühmten Künstlern ausgestellt zu haben. Zwei Stunden musste sie noch durchstehen, bis sie alles wieder in dem geliehenen Laster verstauen und Zuflucht im Red House suchen konnte.
    Selwyn war es, der sie plötzlich am Arm fasste, während sie nahe der Eingangstür herumlungerte und versuchte, gelassen zu wirken. »Gut gemacht! Wie ich sehe, hast du schon ein Stück verkauft.«
    »Tatsächlich?« Sie gab sich Mühe, unbeeindruckt zu erscheinen, aber Selwyn ließ sich nicht täuschen.
    »Hör auf, dich zu verstecken, und komm mit.«
    Zu Ellas Überraschung stand eine Gruppe von Menschen um ihre Arbeiten und begutachtete sie voller Bewunderung. »Hier ist sie, unser schüchternes Mauerblümchen.« Selwyn schob sie vor einen hochgewachsenen Mann.
    »Das ist Harold Ashley, der Leiter unserer Kanzlei in Temple Row. Er ist außerdem Mitglied im Kirchenvorstand von St. James und möchte dieses oder ein ähnliches Werk für ihre Marienkapelle haben. Ich lass euch zwei mal allein, damit ihr das besprechen könnt.« Schon verschwand er und überließ sie ihrem Schicksal.
    »Nehmen Sie Aufträge an?«, erkundigte sich Mr Ashley und betrachtete eingehend ihr Werk. »Sie ist hübsch, zart und ausdrucksvoll. Wir

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