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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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ums Herz.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück
, betete sie für jene verlorenen Seelen, darauf vertrauend, dass Joe auf einem anderen Rettungsboot sein musste. Erneut schaute sie auf und lauschte gespannt, während die Schreie schwächer wurden. Dann trat eine grausame Stille ein.
    Stille und Kälte und Tod.
    »Sie sind alle ertrunken«, flüsterte die junge Frau neben ihr. »Ihr Schmerz ist vorbei, aber unserer fängt erst an, fürchte ich. Die Besatzung hat Sie nicht anbrüllen wollen. Die Angst verleitet uns, Schreckliches zu tun. Gott sei Dank ist Ihr Kind in Sicherheit. Kommt, Männer, rudert uns zu den anderen Booten. Da draußen muss jemand nach uns suchen.«
    »Aye, aye, Lady, das werden sie, und alle Boote müssen zusammenbleiben«, rief der für ihr Rettungsboot zuständige Matrose, während die Laterne langsam über den Bug schwenkte.
    Schon bald bildeten sie eine schweigende Flotte dümpelnder Boote, die wie Spielzeugschiffe auf einem großen Mühlenteich miteinander vertäut waren. Allmählich zog die Morgendämmerung auf. May hatte noch nie so gefroren. Das Kind schlief irgendwie weiter. Stunden vergingen, in denen es nichts gab als Eis und das Platschen der Ruder auf dem Wasser. Die Kälte betäubte jegliches Gefühl in ihren Gliedmaßen. Sie hatte große Mühe, nicht einzuschlafen. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie Joe schwimmen sehen, er wurde in ein Rettungsboot gehoben, lebte dort draußen wie sie, suchte, betete, dass sie bald wieder zusammen wären. Sie klammerte sich an diese Hoffnung wie an ein Rettungsfloß.
    »Bleiben Sie alle wach. Schlafen Sie nicht ein, sonst werden Sie womöglich nicht wieder aufwachen«, ertönte eine Warnung. Dem Schlaf, dem segensreichen Vergessen nicht nachzugeben, fiel schwer, doch May zwang sich ein ums andere Mal. Sie war auf der Hut und achtete darauf, ob sich die Atmung ihres Kindes veränderte. Jedes Mal, wenn ihr Kopf nach vorn sank, riss sie ihn wieder hoch. Jedes Gefühl für die Zeit, die verging, hatte sie längst verloren.
    Dann waren plötzlich Rufe zu hören. Am Horizont tauchte ein Licht auf, ein echtes diesmal, keine falsche Morgendämmerung, und eine Rakete schoss in einem Bogen in den Himmel.
    »Sie kommen! Seht, da drüben, ein Schiff kommt! Wacht auf! Wir werden gerettet!«

14
    Celeste versuchte, ihre eingefrorenen Gliedmaßen wieder zum Leben zu erwecken. Ein paar kostbare Minuten lang hatte sie das Kind für die Mutter gehalten, während diese ihre eiskalten Hände rieb, um sie aufzutauen. Wie konnte ein kleines Kind ein solches Drama verschlafen? Es hatte keine Ahnung, was für ein Wunderkind es war. War es wirklich der Kapitän gewesen, der die Kleine gerettet hatte? Er hatte keinen Versuch unternommen, sich selbst in Sicherheit zu bringen.
    »Wurde auch verdammt höchste Zeit!«, rief eine Gestalt mit einem Schal um den Kopf, den »sie« nicht länger verwendete, um den Bart an »ihrem« Kinn zu verbergen: noch so ein charakterloser Mann, der über Bord in ein Rettungsboot gesprungen war, um sein Leben zu retten, dachte Celeste angewidert. Sie verachtete diese Feiglinge ebenso wie die Frau, die von der Mutter mit ihrem Kind abrückte, als habe sie den Verdacht, sie seien verlaust.
    Celeste betrachtete die Eisbrocken ringsum, unwillkürlich bezaubert von ihrer Schönheit. Als die Sonne aufging, glitzerten sie wie Juwelen, unter anderem auch das Ungeheuer, das ihre Katastrophe verursacht hatte. Wie grausam war die Natur, sie mit solcher Pracht ins Unglück zu stürzen.
    Die Wellen nahmen zu und warfen sie hin und her, als wollten sie diesen Rettungsversuch in Gefahr bringen. Das Schiff kam näher. Celeste schlug ihre eigene trockene Decke um das kleine Kind. Wie war all das geschehen? Wie konnte es so weit kommen?
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, flüsterte sie May zu. »Soll ich das Kind nehmen?«
    »Danke, nein. Sie sind so nett gewesen. Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.«
    »Ich bin Celeste Parkes. Ich war auf dem Weg nach Hause. Und die Kleine hier?«, fragte sie und berührte den Arm des Kindes.
    »Das ist Ellen, und ich heiße May Smith. Mein Mann Joe wird auf einem anderen Rettungsboot sein. Wir sind auf dem Weg in den Mittleren Westen, und er hat die Anschrift und alles.«
    Die arme junge Frau begriff nicht, was ihnen allen zugestoßen war, erkannte Celeste. Die Chance, dass man ihren Mann herausgezogen hatte, war gering. »Wie werden Sie zurechtkommen?«
    »Wir schaffen das schon«,

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