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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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davon ab.
    Angelo schob sich durch das Gedränge auf die Straße hinaus. Hier war er sein eigener Herr, Anna war so schlimm wie seine Mutter, die ihm zusetzte: tu dies, tu das. Nach Hause gehen, nein! Hier konnte er tun und lassen, was er wollte, unsichtbar sein, trinken, was und wann er wollte. Hier konnte er sich vor Freunden und Familie verkriechen. Niemals würde er zurückkehren! Das hatte den Beigeschmack von Versagen und Niederlage.

33
    Noch bevor der Zug im Bahnhof von Trent Valley einfuhr, erblickte May die drei Kirchturmspitzen der Kathedrale. Die Three Ladies of the Vale, hatte Celeste sie genannt. Ihr fiel auf, dass die Katen entlang der Bahngleise aus roten Backsteinen gebaut waren, nicht mit den hellen Ziegeln aus Accrington in Lancashire, sondern ein weicheres Blaurot mit rosafarbener Tönung. Trotz ihrer Angst, an einen Ort zu kommen, an dem sie eine Fremde war, freute sich May, dass ihr alles unbekannt war.
    Ella schlief fest, erschöpft von ihrer Reise. Ein Soldat in Khakiuniform half ihnen aus dem Zug auf den Bahnsteig. Er war unterwegs zu seinem Regiment in der Whittington-Kaserne außerhalb der Stadt. Auf der langen Fahrt von Liverpool war er von Ellas Possen angetan gewesen und hatte ihr einen Schilling in die kleine Hand gedrückt. Die Freundlichkeit von Fremden, sinnierte May, und ihre Gedanken wanderten automatisch wieder zu Celeste.
    Der Frühlingstag war hell, grüne Blätter glitzerten im Sonnenschein. Es war wie auf dem Land, dachte May, während sie die Kirchtürme bewunderte, welche die Schornsteine der Baumwollspinnerei ersetzten, an die sie zu Hause gewöhnt war. Alles war so anders als in Bolton mit seinen terrassierten Straßen.
    Zum Glück gab es einen Omnibus, der sie vom Bahnhof in die Stadt brachte, und kurz darauf stiegen sie am Marktplatz aus. May fand ein Café, in dem sie ihren Durst löschen konnte, und brachte ihr staubiges Äußeres in Ordnung, bevor sie den kurzen Weg über die Dam Street zum Kathedralenhof antrat. Alles wirkte idyllisch, wie aus dem Bilderbuch. Sie sah den Minster Pool, vernahm das Schnattern von Enten und blieb staunend vor den Kirschbäumen stehen, die in voller Blüte standen. Auf der anderen Seite des Teiches erhoben sich Backsteingebäude, deren Gärten bis ans Ufer reichten. Hier gab es frische Luft, gepflasterte Straßen und altertümliche Häuser, Welten entfernt von allem, was sie bisher gekannt hatte. Vielleicht hatte Celeste recht, das hier war ein neuer Ort, und sie konnten sich hier niederlassen.
    In ihrer Tasche waren Celestes Anweisungen und die Anschrift ihres Vaters, aber May konnte das Haus nicht finden, so sehr sie sich auch bemühte. Sie ging um die Kathedrale herum bis zu der Stelle, an der das Westtor zu einer prachtvollen Fassade voller Statuen aufragte. Sie fragte eine Passantin mit Weidenkorb nach dem Weg, die auf einen Bogengang zu einem kleinen Hof mit einem Kunterbunt aus niedrigen Häusern vor einem Gemüsegarten wies.
    »Wen suchen Sie?«, fragte sie und lächelte Ella an, die jetzt aufgewacht war.
    »Kanonikus Forester«, sagte May.
    »Nummer vier. Das ist der mit der Tochter, die auf der
Titanic
war. Sie wurde gerettet, Gott sei Dank! Das war schrecklich, nicht wahr?«
    May nickte, sagte aber nichts. Man konnte die Anschlagtafeln nicht übersehen, deren sensationelle Schlagzeilen die Neuigkeiten über die Katastrophe laut herausposaunten. » LEICHEN VON DER
TITANIC
AUS DEM MEER GEBORGEN . UNTERWEGS NACH HALIFAX « – jede Zeitung wollte die anderen mit entsetzlichen Einzelheiten übertrumpfen. Von ihr jedoch würde niemand etwas erfahren. Was sie und Ella betraf, hatte sie nie einen Fuß auf das Schiff gesetzt.
    »Was für ein süßes Baby«, sagte die Frau, tätschelte Ellas Locken und schaute überrascht von ihr zu May. May gewöhnte sich allmählich an diese Reaktion, wo sie auch mit Ella war, sei es im Zug, im Bus oder im Café am Platz.
    May verabschiedete sich mit Kopfnicken und begab sich zur Tür in der Hoffnung, es möge die richtige sein. Sie klopfte. Ein weißhaariger Mann mit einem zerfurchten, aber freundlichen Gesicht öffnete die Tür und lächelte.
    »Aha! Ich glaube, ich weiß, wer Sie sein könnten. Kommen Sie … treten Sie ein, Mrs Smith. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.«
    »Sie wissen von mir?«
    »Natürlich. Meine Tochter Celeste hat uns telegraphiert. Wie geht es meiner unsinkbaren Tochter?« Er zwinkerte May zu, und sie ahnte, wie großherzig dieser Mann war.
    »Ich kann Ihnen

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