Schiff der tausend Träume
nicht annähernd schildern, welche Freundin sie für mich war …«
»Genauso wie ihre liebe Mutter. Nehmen Sie Platz. Ich werde Tee aufsetzen. Meine Zugehfrau war heute nicht hier, daher herrscht hier ein wenig Durcheinander, wie Sie sehen«, entschuldigte er sich und versuchte, Bücherstapel und Papiere beiseitezuräumen, damit May sich setzen konnte.
May legte Ella auf einen Stuhl und umgab sie mit verschlissenen, staubigen Kissen. »Ich helfe Ihnen. Wenn Sie mir zeigen, wo alles ist, kann ich …« Das Zimmer war ein Wirrwarr aus Büchern, Zeitungen und Zeitungsausschnitten. Nicht eine Oberfläche war sichtbar.
»Alle Artikel über den Untergang habe ich ausgeschnitten. Ich habe mich gefragt, ob Sie beide erwähnt wurden, aber bisher nicht … ich werde sie Celeste schicken. Mein Beileid für Ihren Verlust, Mrs Smith.«
»Wir waren auf dem Weg nach Idaho … um ein neues Leben anzufangen.« May spürte die Tränen, die immer dicht unter der Oberfläche waren, doch sie musste ihre Verzweiflung zurückhalten.
»Ein Segen, dass Sie das Kind zum Trost haben.«
»Ja«, erwiderte sie rasch, ängstlich darauf bedacht, weitere Fragen zu vermeiden. »Für mich dreht sich jetzt alles um sie. Mein armer Mann hatte große Träume für ihre Zukunft. Sie sollte eine gute Schulbildung erhalten, daher werde ich alles tun, was ich kann, um ihr das zu ermöglichen. Ich muss jetzt für uns beide arbeiten, und deshalb bin ich hier.« Nachdem sie ihren Teil gesagt hatte, machte sie sich daran, ein paar Tassen und Untertassen auf ein Tablett zu stellen, während Kanonikus Forester den Kessel aufsetzte.
»Das ist mir klar. Haben Sie keine Bange, für ehrliche Leute gibt es in Lichfield immer Arbeit. Ich bin sicher, dass ich Sie irgendwo unterbringen kann. Haben Sie eine besondere Ausbildung?«
»Ich war kurz als Hausangestellte beschäftigt, dann in der Baumwollspinnerei. Ich kann Empfehlungen besorgen, aber das wird eine Weile dauern«, bot sie an, obwohl sie damit riskierte, dass ihre Anschrift im Norden bekannt würde.
»Das Wort meiner Tochter reicht mir. Im Allgemeinen kann sie Menschen sehr gut beurteilen.« Er verstummte, als müsse er über etwas Besonderes nachdenken, und seufzte. »Lassen Sie uns Tee trinken, und ich kann Ihnen ein paar Möglichkeiten vorschlagen, die für Sie beide vielleicht funktionieren.«
Während Kanonikus Forester zwei Tassen einschenkte, zog May einen Zwieback für Ella aus ihrer Tasche. »Ich muss meine Arbeit um mein Kind herum organisieren. Ich kann nicht … ich will sie nicht Fremden überlassen … jetzt nicht.«
»Ich bin mir sicher, dass wir dafür einen Ausweg finden. Sobald die Leute Näheres über Sie erfahren …«
»Nein!«, sagte sie alarmiert und ließ bei seinen Worten beinahe ihre Tasse fallen. »Bitte, Sir, ich möchte nicht, dass jemand über all das Bescheid weiß … Besser, wenn es keiner erfährt. Ich habe mitbekommen, dass einige der Überlebenden von den Zeitungen nicht in Ruhe gelassen werden.«
»Das hält nicht an, meine Liebe. Die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis, aber wenigstens macht sich der
Titanic
-Hilfsfonds das öffentliche Mitleid zunutze, so lange es geht. Er hat bereits Tausende gesammelt. Die Menschen wollen helfen. Sie wollen ihre Unterstützung zeigen. Aber ich verstehe Ihren Wunsch nach Ungestörtheit. Was ich im Sinn habe, ist das Theologische Kolleg auf der anderen Seite des Hofes. Die brauchen immer Personal, das in der Küche oder in der Wäscherei aushilft. Ich habe mit der Frau des Rektors gesprochen, Mrs Phillips, und sie ist bereit, Sie herumzuführen und Ihnen Ihre Pflichten zu erläutern. In der Nähe gibt es vielleicht auch Zimmer, in denen Sie unterkommen können.«
May nickte erleichtert. »Danke, das hört sich nach einer Arbeit an, die ich schaffe.« Sie nippte an ihrem Tee. Wer auch immer ihm den Haushalt führte, brauchte eine Lektion im Spülen. Die kleine Küche sah nicht allzu sauber aus, und einige Tassen waren angeschlagen.
Als sie ihren Tee getrunken hatten, begleitete Kanonikus Forester May und Ella hinüber zum Haus des Rektors. Dort teilte ein Dienstmädchen ihnen mit, die Herrin sei irgendwo in der Kathedrale.
»Ich kann warten«, sagte May, denn sie wusste nicht genau, ob es der richtige Zeitpunkt für sie war, sich ausfragen zu lassen.
»Gehen wir doch in die Kathedrale, und ich führe Sie herum? Ich kann Sie dort gleich vorstellen. Was du heute kannst besorgen …«, sagte Kanonikus Forester, ohne auf
Weitere Kostenlose Bücher