Schiff der tausend Träume
Bald wäre sie daheim, doch bis dahin durfte niemand von diesen Plänen auch nur etwas ahnen.
Als Mays Brief mit den Neuigkeiten über die Enthüllung eintraf, war Celeste erleichtert, dass sie ihr Schweigen brechen und May darauf vorbereiten konnte, was auf sie zukam. Sie lächelte in sich hinein und dachte, wie bald sie die Menschen zu Hause leibhaftig vor sich haben würde.
Wenn doch nur schon Augustferien wären, wünschte sie sich. Wir kehren heim!
46
7 . August 1914
Angelo stand in der kleinen Seitenkapelle der Kathedrale und wartete auf seine Braut. Der strahlend lächelnde Priester stand vorn am Altar, ein paar junge Frauen aus dem Wäschegeschäft und eine Reihe Bartolinis in ihrem Sonntagsstaat saßen in den Bankreihen. Wie anders als die Hochzeit in der Toskana mit Maria, vor einer halben Ewigkeit. Er hoffte, sie würde es ihm nicht verübeln, dass er sie so bald verließ, nachdem er sie verloren hatte.
»Wie gut, dass du wieder neu anfängst. Kathleen ist eine gute Frau. Sie wird dir wieder ein Zuhause und eine Familie geben«, sagte Pater Bernardo. »Ihr seid füreinander bestimmt.«
»Wozu willst du eine Irin heiraten?«, hatte ihn sein Boss bei der Arbeit gefragt. »Die wird dir ein Loch in den Bauch reden.«
»Ich mag sie«, sagte Anna am ersten Abend, als er sie mit nach Hause gebracht hatte. »Ihr werdet hübsche Kinder haben.«
Er dachte an Alessia, und wieder überkam ihn das nie enden wollende Gefühl, dass sie da draußen irgendwo war … Er hatte den Schuh behalten in der Hoffnung, sie eines Tages zu finden, doch im Lauf der Zeit spürte er, dass sie vergeblich war.
Unruhe entstand, als die Gemeinde sich erhob. Kathleen kam herein. Er drehte sich um und sah durch seine Tränen ein Traumbild in cremefarbenem Spitzenkleid, das auf ihn zu schritt. Schau nicht zurück, sieh nach vorn, flüsterte sein Herz ihm zu. Geister werden nachts dein Bett nicht wärmen, aber hier ist jemand, der es tun wird.
47
Auf dem Friedhof im kanadischen Halifax war ein Bereich für die Opfer der
Titanic
abgeteilt, deren Leichen man aus dem Meer geborgen hatte. Mehr als einhundert kleine Granitwürfel lagen nebeneinander, mit Blumen geschmückt. Einige trugen bereits Namen und die Daten, wann sie von den Rettungsbooten eingeholt worden waren: eine entsetzliche Ernte für die Seeleute, die sie eingesammelt hatten. Vielleicht lag Mays Ehemann herrenlos, unerkannt zwischen ihnen? Celeste drückte seufzend einen Strauß Veilchen an sich, während sie über die Pfade schritt und Roddy vor ihr her hüpfte.
Es war eine friedliche Ruhestätte. Celeste suchte nach dem kleinen Steinsockel, der einem unbekannten Kind gewidmet war. Celeste schauderte, denn es hätte Roddy sein können, wenn sie ihn mitgenommen hätte. Er steckte so voller Leben zwischen den Toten. Wie konnte sie nur daran denken, noch eine Überquerung des Ozeans zu riskieren? Aber was blieb ihr anderes übrig?
An diesem Abend legte laut der in den Zeitungen veröffentlichten Tabellen ein Schiff ab.
Sie würde warten und Susan das Fahrgeld für die Heimkehr geben, eine Ausrede erfinden, dass sie etwas über Mays Mann herausbekommen müsse, sich dann zum Anleger begeben und ihre Überfahrt buchen.
Heimlich hatte sie den Hafen erkundet und eine Menge Soldaten gesehen, die an Bord eines Truppentransporters marschierten. Auf jedem Anschlagbrett waren Nachrichten über den Krieg in Europa zu sehen, aber sie hatte darüber noch nicht nachdenken wollen. Dazu war noch Zeit genug, wenn sie sicher an Bord waren.
Ihr Herz pochte angesichts der Ungeheuerlichkeit ihres Vorhabens, aber jetzt ging es ums Ganze. Zeit, ihre Tickets zu kaufen. Das Geld brannte ein Loch in ihr Geheimfach. Sie mussten zweiter Klasse reisen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie hatte dafür gesorgt, dass ihre Abreise nicht leicht aufzudecken war.
Die Idee war ihr nach dem Skandal auf der
Titanic
gekommen, als man feststellte, dass viele Passagiere unter falschem Namen gereist waren. Ihr fiel die französische Familie an Bord des Schiffes ein, ein gewisser Mr Hoffmann, der seine Söhne in Frankreich entführt hatte, um sie nach New York zu bringen. Celeste würde nicht direkt einen falschen Name annehmen, sondern ihren richtigen abändern. Ihr Mädchenname Forester klang so ähnlich wie »Forest«, und ein anderer Name dafür war »Wood«. Celestine war nicht ungewöhnlich, aber warum sollte sie nicht ihren zweiten Vornamen Rose verwenden? Rose Wood würde vielleicht
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