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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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Nachdenken bringen.

44
    29 . Juli 1914
    May musste sich einen Aussichtsplatz erkämpfen. Ganz Lichfield war auf den Beinen, um die Bürgermeisterprozession zu sehen, die sich durch die Bird Street vom Rathaus zum Museumsgarten wand, um das Denkmal zu enthüllen.
    Der Stadtschreier trug seinen Zylinder, sein zeremonieller Streitkolben und das Schwert glitzerten in der Julisonne. Ein kunterbunter Haufen in mittelalterlichen Kostümen zog langsam an den neugierigen Zuschauern vorüber. Dann kamen der Bürgermeister und der Sheriff in ihren scharlachroten Pelzhüten und Dreispitzen. Sie führten die Würdenträger und Gäste an, die diesem offiziellen Anlass gemäß gekleidet waren, manche in düsterem Schwarz, andere in matten Seidenröcken, deren mit Litze besetzte Säume raschelnd den Staub beiseitefegten.
    Eine Fanfare von Trompetern in hellroten Röcken kündete ihre Ankunft an und spielte großartig auf, als die Parade in den Museumsgarten strömte, in dem Marineoffiziere vor der verhüllten Statue Wache standen. Man schob sich auf die zugewiesenen Plätze, bis das Zeremoniell in Gang kam.
    May hielt sich im Hintergrund. Das meiste von dem, was gesagt wurde, konnte sie nicht hören. Ella wand sich in ihrem Sportwagen und interessierte sich viel mehr für den Eisverkäufer an der Ecke, der seine Ware lauthals der Menge anpries.
    Stolz stellte sie fest, wie weiß die Gewänder der Geistlichen waren, die sie noch am selben Morgen mit gewaschen, gestärkt und gebügelt hatte. Die Männer standen streng nach Rangordnung um die Bischöfe in ihren goldenen Stolen und Bischofsmützen herum. Es war ein bühnenreifes Schauspiel, perfekt für eine Kathedralenstadt.
    »Um wen geht es?«, fragte ein Mann mit Mütze, dem Eis aus der Tüte über den Backenbart rann.
    »Das Denkmal für Kapitän Smith wird enthüllt«, klärte May ihn auf.
    »Ach, der, der die
Titanic
versenkt hat! Wozu setzen wir ihm ein Denkmal?«
    »Er war ein tapferer Mann, sehr tapfer sogar …«, fuhr sie ihn an, unfähig, ihren Ärger bei sich zu behalten.
    »Was wissen Sie denn schon?«, hielt er ihr entgegen und musterte sie von Kopf bis Fuß. An ihr war nichts, was Aufmerksamkeit erregte, überlegte sie; nur eine junge Frau in grauem, weitem Kleid, mit eingefallenem Gesicht, mit Haaren, die aussahen wie nasser Sand und zu einem Knoten unter einem Strohhut zusammengerafft waren. Ein scharfes Wort, dass sie eine Überlebende der
Titanic
sei, hätte ihn mundtot gemacht, aber sie biss sich auf die Zunge und schlich sich davon. Sie wollte hören, was die Herzogin von Sutherland zu sagen hatte, doch sie vernahm nur Wortfetzen, als eine Frau auf eine andere junge Dame in einem perlgrauen, fließenden Kleid zeigte.
    »Das ist Lady Scott … Witwe von Kapitän Scott, dem großen Forscher …«, flüsterte die Frau, die neben ihr stand. »Das ist einer, der ein Ebenbild aus Bronze verdient hat. Ein Held unter Männern war er.«
    Offenkundig hatte Kapitän Smith hier keine Freunde. Wenn sie doch nur das Wort für ihn ergreifen könnte. Dann fing sie die abschließenden Worte der Herzogin auf.
    »Trauert nicht, meine Freunde … denn Kapitän Smith ruht im Meer … das Meer hat still viele der Großen und viele derer, die wir lieben, verschluckt …«
    Das kannst du wohl sagen, seufzte May leise vor sich hin und wollte nicht länger zuhören. Bei diesen Worten stiegen zu viele Erinnerungen in ihr auf.
    Jetzt wurde über Krieg gesprochen und Männer, die wieder zu den Waffen griffen. Wie vielen von ihnen war es auch bestimmt unterzugehen?
    Mays Blick wurde von der schlanken Figur eines Mädchens in weißem Kleid und Florentinerhut angezogen. Das dunkle Haar fiel ihr bis auf die Taille. Die einzige Tochter des Kapitäns, Helen Melville Smith, die das Ebenbild ihres Vaters enthüllen würde. Ihre Mutter saß in der Nähe, beklommen, als das Mädchen an dem Laken zog, um die breitschultrige Gestalt eines Marineoffiziers zu enthüllen, der die Arme verschränkt hatte und über die versammelte Menge schaute, über die drei Türme der Kathedrale und die Museumskuppel hinweg in weite Ferne. Die Menge applaudierte.
    May versuchte einen Blick auf die sitzenden Gäste zu werfen. Unter ihnen waren die Verwandten des Kapitäns aus den Steingutfabriken und offizielle Vertreter der White Star Line, aber auch Überlebende wie sie. Gern hätte sie sie öffentlich unterstützt, aber sie wusste, dass sie aus sicherer Entfernung zuschauen musste.
    Ihr Blick haftete an seiner Witwe

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