Schiff der tausend Träume
in seinem Herzen verborgen sein, unsichtbar für Kathleen, die sich nur Sorgen machte. Die kleine Patricia war ein Geschenk der Liebe. Zwei Söhne ausbilden lassen und etwas für eine Mitgift zurücklegen, das würde harte Arbeit und Sparen bedeuten. Ihr Wohl hatte nun Vorrang.
Pater Bernardo hatte ihn eines Morgens nach der Messe beiseitegenommen und ihm eine freundliche Warnung mit auf den Weg gegeben. »Du wirst noch verrückt, mein Sohn, wenn du nicht von deiner Trauer lässt. Es ist eine Kränkung der Lebenden, und die Toten ruhen jetzt in Frieden und wissen nichts mehr. Sei dankbar für alles, was dir geschenkt wurde …«
Doch niemand konnte die kleine Hoffnungsflamme löschen, die noch in seinem Herzen brannte. Er hatte es niemandem gesagt, aber als er damals im Grippefieber glaubte, sterben zu müssen, war Maria zu ihm gekommen, und sie war allein gewesen. Ihre Arme waren leer. Irgendwo musste doch irgendjemand noch etwas mehr wissen. Das quälte ihn am meisten, und kein Priester der Welt brachte ihn dazu, seine Hoffnung aufzugeben.
55
Lichfield, Juli 1919
May eilte über den Kathedralenhof. Es war Freitag, und die Feiern zum Jahrestag des Friedensschlusses standen bevor. Sie hatte sich vorgenommen, ein paar Kleinigkeiten für Kanonikus Forester vom Markt mitzunehmen: frisches Brot, Gemüse und Käse. Sie wollte ihm gern eine Suppe kochen, mit der er über das Wochenende auskam. Sie hatte vergessen, dass der Platz abgesperrt war, bereit für die großen Paraden. Die Glöckner der Kathedrale und von St. Mary’s übten das Geläut für den nächsten Tag ein. Am Nachmittag sollte für die Kinder in den Schulen ein großes Fest stattfinden. Ella war in Hochstimmung.
Als sie in den kleinen gepflasterten Hof einbog, stand ein großer Mann in schickem Anzug da und betrachtete die Tudor-Häuser aus rotem Backstein mit ihrem Zierrat. May war an den Anblick von Touristen gewöhnt, die sich diese alten Häuser ansahen. Er schaute auf sie und ihren Korb herunter. »In welchem Haus wohnt der Kanonikus?«, fragte er, und seine grauen Augen blitzten. May vernahm seinen amerikanisch näselnden Tonfall und erstarrte.
»Welchen suchen Sie denn, Sir?« Sie versuchte zu lächeln, obwohl ihr Herz hämmerte.
»Ich wünschte, die würden mit dem Getöse aufhören«, brüllte der Mann und zeigte auf die Kirchtürme. »Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen … Forester, Kanonikus Forester.«
»Kommen Sie mit, ich bringe ihm das hier gleich vorbei«, erwiderte sie und wollte das Klopfen an der Tür hinausschieben. Ihr Herz pochte noch immer. Sie hatte diesen Mann von dem Hochzeitsbild erkannt, das Celestes Vater in Ehren hielt. May hatte es schon hundertmal abgewischt. Grover Parkes höchstpersönlich war gekommen, um seine Frau zu suchen. Sie betete im Stillen, dass der Kanonikus in der Kathedrale war oder Kranke besuchte.
Sie hatte einen Schlüssel, aber das behielt sie für sich. Der Fremde hatte keine Ahnung, wer sie war. Sollte sie es wagen, ihn zum falschen Haus führen, an die Tür des Geistlichen, der in Urlaub war? Das würde ihn lange genug aufhalten, und sie konnte dafür sorgen, dass niemand zu Hause war, wenn er vorbeikam.
»Wer wohnt denn sonst noch in diesen idyllischen kleinen Kästen? Vermutlich ist nicht einmal genug Platz, um sich einmal drin umzudrehen«, scherzte er und sah sich auf dem gepflasterten Hof um, doch May ließ sich durch seine aufgesetzte Freundlichkeit nicht täuschen.
»Die meisten sind pensionierte Geistliche oder ihre Frauen.«
»Wohnen Sie hier?« Er starrte ihre schäbige Jacke an.
»Nein, Sir, ich mache für einige von ihnen Besorgungen … ich arbeite im Kolleg. Ich glaube, der Kanonikus ist jetzt unterwegs, Sir«, fügte sie hinzu und betete, es möge so sein. »Am Wochenende sind die Friedensfeiern … Das ganze Land wird feiern. Haben Sie die Fahnen gesehen?«
»Man kann sich in London vor den Dingern nicht retten. Wozu dieser ganze Wirbel? Der Krieg ist seit fast einem Jahr vorbei … Ich bin geschäftlich in London. Vor lauter Leitern und Dekorationen kam ich kaum irgendwohin. Das ganze Land steht still … und was die Züge betrifft …«
»Wir haben lange gewartet … aus Respekt vor unseren gefallenen Soldaten«, hielt sie ihm entgegen. Wie konnte er es wagen, die Feierlichkeiten zu kritisieren? »Ich bin mir sicher, dass der Kanonikus nicht da ist.«
»Ich bin Hunderte von Meilen gekommen und werde nicht eher gehen, bis ich nachgeprüft habe … Zeigen
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