Schiff der tausend Träume
anstarren, wenn ich Staub wische. Da ist so viel Staub, wenn ich das Fenster aufmache, und die Kinder schleppen so viel von der Straße in unsere Zimmer. Dann sind da die vielen Postkarten und Zeitungsausschnitte, Bilder – alles, was mit der
Titanic
zu tun hat, wird aufgehängt. Warum kann er die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen? Sie sind tot, und wir sind hier.«
»Oh, wenn es nur so einfach wäre, meine Liebe. Jeder muss mit seiner Vergangenheit leben. Du hast deine Kleinen. Er hat Zeit, über Dinge zu grübeln, die er niemals ändern kann.«
»Was soll ich machen? Ich muss etwas sagen, jetzt, da wieder ein Würmchen unterwegs ist«, seufzte sie und tätschelte ihren Bauch. »Wenn es ein Mädchen wird, sagt er, muss sie nach seiner Alessia benannt werden.«
»Alice ist ein guter Heiligenname«, bemerkte der Priester lächelnd.
»Verzeihen Sie, Pater, aber das ist nur ein weiteres Andenken. Dieses Mädchen muss seinen eigenen Namen haben, nicht den seines toten Kindes.« Kathleens grüne Augen flammten auf.
»Bist du schon eifersüchtig auf diese armen Seelen?«
»Ja, Pater, und ich kann nichts dagegen tun«, sagte sie und senkte beschämt den Kopf.
»Dann bete, und die Antwort wird zu dir kommen, mein Kind. Geh hin in Frieden, und kein Jammern mehr.«
Während der Sommer heißer und ihr Kind größer wurde, ignorierte Kathleen den kleinen Altar und wischte ringsum keinen Staub mehr. Manchmal hatte sie das Gefühl, als würde sie von hinten angestarrt, bis sie eines Morgens so aufgebracht war, dass sie ihre Bürste in die Zimmerecke warf, so dass Marias Bild von der Wand rutschte und das Glas zerbarst.
»Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast!«, schrie sie in Panik auf. Der Rahmen musste sofort repariert werden, sonst würde Angelo wütend. Sie zog das Sepiafoto heraus, schob es in ihre persönliche Schublade, den winzigen Schuh schlug sie in Seidenpapier ein und steckte ihn in die schicke, aus irischem Leinen hergestellte und nie benutzte Schachtel für Nachthemden.
Ihr alle könnt warten, dachte sie. Was das Chaos betrifft, du hast es jetzt angerichtet, also verrücke nun auch den Waschtisch, mach das Regal sauber und gib der Ecke, was sie verdient.
Mit Begeisterung machte Kathleen sich daran, die Unordnung zu beseitigen, kratzte das Wachs vom Holz, polierte die Einfassung und schrubbte den Holzboden. Die vergilbten Zeitungsausschnitte nahm sie vorsichtig von der Wand. Sie hinterließen weiße Stellen. Sie zog das Gitterbett herüber und stellte es in die Nische neben den Kamin. Es passte wie angegossen. Nichts war besser als ein paar Möbel zu verschieben, schon sah ein Zimmer frisch und neu aus. Sie bedeckte die Lücken an der verblassten Tapete mit ihren eigenen Heiligenbildern. Jetzt war die Ecke fertig für das neue Kind.
Als hätte es auf diesen Hinweis gewartet, setzten an dem Abend die Wehen ein, gefolgt von einer gnädig kurzen Niederkunft gegen Morgen. Das Kind war alles, was sie sich erhofft hatte, mit dichten, flammend roten Locken.
Angelo hatte draußen bleiben müssen, aber seine Augen strahlten, als er das kleine Mädchen in seinem Bett liegen sah.
»Ein Mädchen, Angelo, einer von Marias Engeln. Pater Bernardo sagt, ich soll ihr den Namen geben. Ein Mädchen für ein neues Land, also soll sie einen amerikanischen Namen bekommen: Patricia Mary. Was hältst du davon?« Zu ihrer Überraschung protestierte er nicht, noch fielen ihm die Veränderungen im Zimmer auf. Das geschah erst nach ein paar Stunden.
»Keine Bange, deine Sachen sind alle in Sicherheit«, sagte sie lächelnd und zeigte auf die Schublade. »Du kannst sie dir jederzeit anschauen. Das Bild ist ganz von allein runtergefallen«, fügte sie hinzu, wohl wissend, dass sie diese Lüge am Sonntag beichten musste. Angelo sagte nichts, er hörte nicht einmal zu, denn er war zu sehr von der Schönheit seiner neuen Tochter in Anspruch genommen. »
Bellissima Patrizia
«, flötete er.
»Danke.« Kathleen hob den Blick zur kleinen Madonna auf dem Regal. »Jetzt können wir unser neues Leben richtig anfangen.«
Angelo lächelte über das Gitterbett hinweg. Er wusste Bescheid. Kathleens errötendes Gesicht war ein Abbild von Halbwahrheiten. Sie war wie ein aufgeschlagenes Buch für ihn. Aber ausnahmsweise hatte sie einmal recht. Er war jetzt für seinen Verlust mit einem dreifachen Segen entschädigt. Das würde ihn zwar nicht davon abhalten, sein Leben lang an seine erste Frau zu denken, doch der kleine Altar musste
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