Schiffbruch und Glücksfall
hatte. Alte Häuser erzählten Geschichten, sie zeigten, wie die Erbauer einst gedacht hatten, was ihnen wichtig war. Diesen hier war Repräsentation wichtig. Späteren Bewohnern hatten andere Dinge mehr bedeutet, sie hatten Um- und Anbauten vornehmen lassen. Nicht alles stilistisch einwandfrei, manches originell, einiges einfach grässlich. Mit den jetzigen Besitzern hatte er vereinbart, so weit wie möglich den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.
Dass das Gerümpel dazu entfernt werden musste, war ein Nebeneffekt, der vor allem Yves interessierte.
»Und, Xavier? Gute oder böse Geister?«
Der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Ein beinaheleeres Haus. Kaum etwas zu spüren. Bringen wir die Kisten nach unten.«
Sie beluden Yves’ Lieferwagen, auf dem der rote Doppeldeckerbus abgebildet war, der zu seinem Markenzeichen geworden war.
Yves Kerjean hätte sich ein Haus leisten können, aber er wohnte lieber in diesem Bus, den er nach seinen Ansprüchen umgebaut hatte. Allerdings nur während der Sommermonate, im Herbst ging Yves auf Reisen. Inzwischen war er fast fünfzig, und es gab nicht viele Winkel dieser Welt, die er noch nicht gesehen hatte, vermutete Simon. Ihn hatte er in Lissabon aufgegabelt, in seiner schwärzesten Zeit, in einer heruntergekommenen Kaschemme. Warum auch immer er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, einen misslaunigen, streitsüchtigen Deutschen dort herauszuzerren, ihn auszunüchtern, ihn unter die Dusche zu stellen und mit Brot und salziger Butter zu füttern, war ihm noch immer ein Rätsel. Aber alles zusammen hatte geholfen.
Mehr noch hatte es Simon geholfen, mit Yves zurück in die Bretagne zu fahren, dahin, wo alles angefangen hatte. Deshalb war er zunächst einmal geblieben, wenn auch noch immer antriebslos und ohne Ehrgeiz. Doch Yves hatte ihn gnadenlos zu den Haushaltsauflösungen mitgeschleppt.
»Wenn du schon kein Hirn hast, mit dem du was anfangen kannst, dann setz wenigstens deine Muskeln ein!«, hatte er befohlen.
Zwei Monate hatte Simon bei ihm in dem Bus mitgehaust, dann hatte er ein paar Wochen in dem Fischerhaus gewohnt, das Yves hin und wieder als Feriendomizil vermietete, und mit der Entrümpelung von Marie-Claudes
Marée bleue
war dann wirklich wieder sein Wunsch erwacht, alte Häuser zu sanieren.
Die Zeit, als er an der Loire in denkmalgeschütztenSchlösschen gearbeitet hatte, versuchte er zu vergessen. Genau wie Bernice.
Mit Frauen hatte er kein Glück.
Aber geschäftlich ging es ihm nun wieder gut, und eigentlich hätte er auch seine Suche wieder aufnehmen können. Aber irgendwie war dieser einst so drängende Antrieb seither auf der Strecke geblieben. Irgendwo hier in der Gegend befand sich das Haus seines Großvaters, das er laut Testament geerbt hatte. Nur hatte er eine wenig verständliche Ortsangabe dazu gemacht. Als Simon vor neun Jahren das erste Mal in diese Gegend gekommen war, hatte er alles, was an Aufzeichnungen in der Gemeinde und den Kirchenbüchern zur Verfügung stand, untersucht. Aber entweder lag er mit seiner Vermutung völlig falsch, oder sein Französisch war nicht gut genug, um die Eintragungen richtig zu interpretieren.
Tja, und dann war Bernice gekommen, und wie Yves schon ganz richtig angemerkt hatte, war sein Hirn in gewisser Weise flöten gegangen.
Sie fuhren die Küstenstraße entlang, und mit einem Seitenblick erkannte Simon, dass die Wildcamper noch immer im Naturschutzgebiet hausten. Seine geknurrte Bemerkung erwiderte Xavier mit einem krächzenden Lachen.
»Morgen sind sie weg. Hab gehört, dass es Beschwerden gab.«
Simon überlegte, dass er Kelda, nein, besser Marie-Claude davon in Kenntnis setzen sollte. Mochte ja sein, dass Kelda sich wieder mit diesem Matt vertragen hatte.
Wie konnte eine intelligente Frau sich nur mit so einem Affen abgeben? Bittere Galle kam in seiner Kehle hoch. Bernice hatte solche Schönlinge auch bevorzugt. Waschbrettbauch, Zweitagebart, hohle Birne, aber ausdauernd im Bett.
Seine Laune verfinsterte sich zusehends. Und sie wurde auch nicht besser, als er Marie-Claudes Wagen hinter seinem Offroader geparkt sah.
Luc le Gamache
Kelda bemerkte den roten Doppeldeckerbus natürlich sofort und parkte am Rand des Feldwegs, wo auch Simons Offroader stand. Das Gelände des Freiluft-Flohmarktes war etwa fußballplatzgroß. Eine Wiese, auf der sich unter Zeltplanen, Sonnensegeln und Schirmen, aber auch ganz einfach im Freien auf Tischen oder auf dem Boden eine geradezu unüberschaubare Menge
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