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Schiffe versenken

Schiffe versenken

Titel: Schiffe versenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Chisnell
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meldete sich nicht. Wo immer sie war, sie informierte ihn nicht oder konnte ihn nicht informieren, dass sie und Ben in Sicherheit waren.
    Nachts wurde es etwas kühler, und er brauchte keine Positionsmeldungen mehr auf den Weg zu bringen. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Seit man ihn halb tot aus einem Rettungsboot gezogen hatte, hatte er in keinem mehr gelegen, und jetzt quälten ihn die Dämonen von damals und heute, und es waren so viele, dass er sie nicht mehr zählen konnte.
    Erst als Helligkeit und Wärme wieder durch die Plastikpersenning krochen, merkte er, dass die Nacht vorbei war. Mit verkrampften und zittrigen Händen packte er erneut die Utensilien aus, um den Morgenbericht abzuschicken, zwang sich, langsam und ruhig die Position zu nehmen, die Nachricht zu tippen, zu verschlüsseln und abzuschicken. Dann endlich zeigte der Computer an, worauf er so sehr gewartet hatte: »Sie haben eine neue Nachricht.« Und er las: »Wir sind sicher angekommen, und wir alle drei hoffen, dass du dich bald bei uns meldest. Alles Liebe. Jasmine, Ben, Mutter.« Fast brach er vor Erleichterung zusammen – in eine kräftezehrende Erleichterung, die in die Planken einsickerte, dass er ein paar Minuten lang ausruhen musste, ehe er eine kurze Lüge als Antwort zustande brachte: »Bin gesund und munter in Singapur. Meine Geschäfte sind fast erledigt, und ich werde mich in Kürze telefonisch melden.«
    Nun war eine weitere Hürde genommen, die Dinge wurden erheblich einfacher und würden in ein oder zwei Tagen erledigt sein. Aber diese Tage krochen mit quälender Langsamkeit dahin und kosteten ihn ein volles Pfund seines Körpergewichts. Die Luft bewegte sich noch weniger als Hamnet, der ständig fürchtete, dass ihn irgendein Geräusch verraten könnte. Mittlerweile kannte er jeden Quadratzentimeter seines selbst gewählten Gefängnisses: die grauen Schlieren, die sich innen an der Abdeckung entlangzogen und nur im Tageslicht sichtbar wurden und nachts verschwanden; die zerbrochenen Fischsortierbretter, die zu knarren und ihm in den Nacken zu fallen drohten, sobald er sich bewegte; den immer größer werdenden Schweißfleck, wo sein Körper auf den Planken lag. Er zählte die Schrauben in der Wallschiene, die Astlöcher im Holz der Ruderbank. Jede Viertelstunde rollte er sich eine Vierteldrehung weiter, um seine Schmerzen zu lindern, ganz langsam und sorgfältig. Aber in Wirklichkeit wollte er nur noch aufspringen und schreien.
    Einmal jagte ihm ein Geräusch kalte Schauer über den Rükken – das Klappern vom Öffnen und Schließen eines Schotts und Schritte, die vorbeigingen. Aber sonst kam niemand auch nur in die Nähe des Rettungsbootes, und während der gesamten Zeit unterbrach nichts den langsamen Lauf der Stunden. Einmal veränderten sich die Bewegungen des Schiffes während einer kurzen Brise aus Südwest, die ein paar Wellen über die nicht ganz straff gespannte Bootsabdeckung spritzen ließ. Doch das Meer beruhigte sich schnell wieder unter einem Hochdruckgebiet, und die Hanking Empire setzte unbehelligt ihren Weg durch das Südchinesische Meer fort. Zweimal am Tag gönnte sich Hamnet Wasser und Kekse, alle vier Stunden einen Müsliriegel, alle acht Stunden etwas Obst aus der Dose – das waren die Höhepunkte des Tages. Er pinkelte in die leeren Flaschen und erledigte den Rest in die leeren Konservendosen.
    Doch da die Zeit fließt, hat immer alles irgendwann ein Ende. Unabhängig davon, wie lange es dauert oder zu dauern scheint und wie qualvoll das Warten ist, kommt alles schließlich zum Schluss. Das sagte sich Hamnet immer wieder, während er in dem Boot wartete und an seiner Zukunft baute, wie er das schon einmal getan hatte. Damals hatte ihn der Gedanke an Anna durchhalten lassen. Als er völlig ausgetrocknet und unter Qualen die heiße salzige Luft eingeatmet hatte und seine ausgedörrten Lippen aufgeplatzt waren. Er hielt sich immer wieder vor Augen, dass er jetzt in einer vergleichsweise angenehmen Situation war. Er hatte schließlich genug zu trinken und zu essen.
    Diesmal musste er für Ben durchhalten. Und Jasmine – würde sie warten? Würde sie wirklich noch da sein, wenn erst mal alles zu Ende war? Er glaubte nicht, dass sie in England bleiben wollte; schließlich hatte er ihr Leben immer nur komplizierter gemacht, seit sie sich getroffen hatten. Außerdem wollte er sich nicht darauf freuen, nicht so kurz nach Annas Tod. Das hielt er für unangemessen, aber er war sich nicht sicher. Wie verhielt

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