Schiffsdiebe
widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissen. » Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich nicht aus dem Ölreservoir rausgekommen. Schließlich hat er mir das Schwimmen beigebracht. Findest du nicht, dass ich ihm dafür etwas schuldig bin?«
» Hängt davon ab, wie oft am Tag er auf dich eindrischt.« Pima biss sich auf die Unterlippe. » Wenn du nicht aufpasst, bringt er dich irgendwann noch um.«
Nailer blieb ihr die Antwort schuldig. Wenn er zu viel darüber nachdachte, wusste er auch nicht, warum er seinen Vater gerettet hatte. Jedenfalls nicht, weil Richard Lopez ihm das Leben leichter machte. Wahrscheinlich, weil die Leute sagten, Familie wäre wichtig. Pearly behauptete das jedenfalls. Pimas Mutter auch. Alle sagten das. Und Richard Lopez war alles, was Nailer an Familie geblieben war, ganz gleich, was er sonst noch sein mochte.
Trotzdem konnte Nailer nicht anders, als sich inständig zu wünschen, er würde mit Sadna und Pima zusammenwohnen und nicht mit Richard Lopez. Er fragte sich, wie es wäre, ganz zu ihnen zu ziehen, und nicht nur dann, wenn sein Vater wieder voll auf Slide war. Zu wissen, dass er nach ein oder zwei Tagen nicht wieder zu seinem Vater zurückkehren musste. Mit Menschen zusammenzuleben, auf die er sich verlassen konnte.
Das Unterholz wich zurück. Sie traten zwischen die Gezeitentümpel und zerklüfteten Felsen an der Spitze der Insel hinaus. Granitzacken erhoben sich über das Wasser – natürliche Wellenbrecher, die die Insel zumindest ein wenig vor Unwettern schützten. Pima fing an, nach Trommlern und kleinen Rotbarschen zu grapschen, die vom Sturm noch ganz betäubt waren, und sie in den Eimer zu werfen. » Hier hat es echt viele Fische. Mehr, als ich gedacht habe.«
Nailer antwortete ihr nicht. Er starrte zu den Felsen hinaus, die aus dem Wasser ragten. Zwischen ihnen funkelte etwas wie Glas, schimmernd und weiß.
» Hey, Pima.« Er zog sie an der Schulter. » Schau doch mal.«
Pima richtete sich auf. » Was ist denn?«
» Das ist ein Klipper, oder?« Er schluckte und trat einen Schritt vor. Blieb stehen. War das eine Fata Morgana? Er rechnete jeden Moment damit, dass das Schiff wieder verschwinden würde. Doch die weißen Planken und die flatternden Segel blieben, wo sie waren. » Tatsächlich. Ein Klipper.«
Pima lachte leise. » Nein. Du irrst dich, Nailer. Das ist kein Klipper.« Sie flitzte an ihm vorbei und rannte auf das Schiff zu. » Das ist fette Beute!«
Ihr Lachen wurde vom Wind davongetragen. Nailer schüttelte seine Benommenheit ab und lief ihr nach. Während er über den Sand hetzte, stieß er einen Freudenschrei aus.
Vor ihm leuchtete das möwenweiße Wrack im Sonnenlicht.
8
Das Schiff lag mit gebrochenem Rückgrat auf der Seite, leckgeschlagen und halb unter Wasser. Selbst in diesem Zustand war es noch wunderschön, so völlig anders als die rostenden Riesen aus Eisen und Stahl, die sie jeden Tag ausschlachteten.
Der Klipper war erstaunlich groß, ein schnelles Schiff, das Menschen und Frachtgut über den Pol nach Russland und Japan beförderte. Oder über den Atlantik nach Afrika und Europa. Die Tragflügel waren eingezogen, aber durch Risse in dem geborstenen Carbon-Rumpf konnte Nailer das große Getriebe erkennen, mit dem die Tragflügel ausgefahren wurden, die komplexe Hydraulik und die elektronischen Präzisionsinstrumente.
Auf dem Deck des Schiffs, das in ihre Richtung geneigt war, waren die Buckell-Kanone und die Hochgeschwindigkeitsspulen für die Parasegel festgemacht. Als Bapi einmal guter Laune gewesen war, hatte er Nailer erklärt, dass die große Kanone ein Segel Tausende von Metern in die Luft schießen konnte, wo es, vom starken Wind erfasst, das Schiff auf seine Tragflügel hob und mit mehr als fünfzig Knoten über die Wellen zog.
Nailer und Pima blieben wie angewurzelt stehen und starrten das Wrack an. » Bei den Parzen, ist das schön«, hauchte Pima.
Selbst auf Grund gelaufen wirkte der Klipper noch so majestätisch wie ein Falke. Jede Ecke und jede Kante war so konstruiert, dass der Luftwiderstand auf ein Minimum reduziert war. Nailers Blick glitt über das Oberdeck, über die Pontons und Leitwerke und die gesprungenen Überreste des Festsegels, alles in der Sonne fast blendend weiß. Nirgendwo ein bisschen Rost oder Asche. Obwohl der Rumpf geborsten war, lief nirgendwo Öl aus.
Im Vergleich mit diesem Schiff waren die alten Tanker und Frachter am Strand rostende Dinosaurier. Ohne das kostbare Öl, das sie einst angetrieben hatte,
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