Schiffsdiebe
die Bonzen geglaubt, ein Sturm könne ihnen nichts anhaben. Als wären sie Götter und würden mit ihren Instrumenten und Satelliten nicht nur das Wetter voraussagen, sondern auch darüber gebieten.
Bei dem Anblick des toten Mädchens überlief Nailer ein Schauer. Das ganze Schiff schien wie eine Botschaft, eine Lektion, die so bedeutsam war wie das, was Pimas Mutter ihnen beibrachte, wenn sie ihnen erklärte, wie sie ihre Jugend überleben konnten. Der Tod konnte einen ereilen, ob man nun – wie Bapi – glaubte, man sei auf ewig Kolonnenführer, oder ob man ein reiches Mädchen mit vornehmen Kleidern und teurem Schmuck war.
Sie kauerten neben der Leiche nieder. » Wenigstens haben die Krabben sie noch nicht entdeckt«, murmelte Pima. Sie packte die Halskette des Mädchens und riss daran. Der Kopf des Mädchens ruckte wie eine Marionette nach vorne, und die Kette gab nach. Der goldene Anhänger baumelte in Pimas Faust – ein rascher Griff, und sie waren reicher als jeder andere, mit Ausnahme von Lucky Strike vielleicht. Gemeinsam machten sie sich an den Ringen zu schaffen und versuchten, sie dem toten Mädchen von den eisigen Fingern zu zerren.
» Verdammt«, murmelte Nailer und zog kräftiger. » Ihre Finger sind schon ganz steif.«
» Stecken deine auch fest?«, fragte Pima.
» Ihre Finger sind geschwollen. So kriegen wir die Ringe nie runter.«
Pima zog ihr Arbeitsmesser. » Hier.«
Nailer verzog angewidert das Gesicht. » Willst du ihr die Finger absäbeln?«
» Auch nicht schlimmer, als einem Huhn den Kopf abzuhauen. Wenigstens fängt sie nicht an zu gackern und herumzuflattern.« Pima setzte das Messer an. » Los, gleichzeitig.«
» Wo schneide ich denn am besten?«
» Am Knöchel«, erwiderte Pima. » Den Knochen kriegst du nicht durch. So springen sie aus dem Gelenk.«
Nailer zuckte mit den Achseln und zog sein Messer. Er setzte es am Knöchel an und drückte dem Mädchen die Klinge ins Fleisch. Blut quoll aus dem Schnitt.
Die schwarzen Augen des Mädchens blinzelten.
9
» Blut und Rost!« Nailer wich erschrocken zurück. » Die ist gar nicht tot. Die lebt noch!«
» Was?« Pima kraxelte rückwärts von dem Mädchen weg.
» Ihre Augen haben sich bewegt! Ganz sicher!« Nailers Herz raste. Am liebsten hätte er gemacht, dass er davonkam. Das Mädchen war nun wieder regungslos, aber ihm lief es kalt den Rücken hinunter. » Als ich ihre Haut geritzt habe, hat sie sich bewegt.«
» Ich hab davon nichts …« Pima verstummte mitten im Satz.
Die Augen des ertrunkenen Mädchens hatten sich auf sie gerichtet. Sie blickte von Pima zu Nailer und wieder zurück.
» Bei den Parzen«, flüsterte Nailer. Eiskalte Finger strichen ihm über den Rücken, und ihm sträubten sich die Nackenhaare. Fast könnte man meinen, sie hätten mit ihren Messern ihren Geist heraufbeschworen. Die Lippen des Mädchens bewegten sich ganz sachte. Keine Worte kamen heraus. Nur ein kaum hörbares Zischen.
» Himmel, ist das unheimlich«, murmelte Pima.
Das Mädchen flüsterte etwas, ein steter Strom von Silben, ein Singsang, ein Flehen, so leise, dass sie die Worte kaum verstehen konnten. Wider besseres Wissen rutschte Nailer ein Stück zu ihr hin, von ihren Augen und ihrer Verzweiflung wie magisch angezogen. Die mit Gold geschmückten Finger des Mädchens zuckten, streckten sich nach ihm aus.
Pima kniete sich hinter ihn. Das Mädchen reckte sich ihnen entgegen, doch sie blieben beide außer Reichweite. Geflüsterte Worte, Gebete, als würde sie das Grauen ausatmen, das sie durchgemacht hatte. Ihr Blick schweifte durch die Kabine, ihre Augen weiteten sich – irgendetwas machte ihr Angst. Irgendetwas, das nur sie sehen konnte. Wieder schaute sie Nailer an, verzweifelt, flehentlich. Flüsterte unentwegt. Er beugte sich vor, ehrlich bemüht, sie zu verstehen. Die Hände des Mädchens strichen ihm kraftlos über die Arme, berührten sachte sein Gesicht, als wollte sie ihn zu sich herabziehen. Er neigte den Kopf und ließ zu, dass die Finger des Mädchens in festhielten.
Ihre Lippen streiften sein Ohr.
Sie betete. Flehte leise Ganesha an, Buddha, die barmherzige Jungfrau Kali, den Gott der Christen … Sie betete zu allem und jedem, flehte die Parzen an, sie vor dem Schatten des Todes zu bewahren. Worte perlten ihr über die Lippen, ein verzweifeltes Rinnsal. Sie war schwer verletzt und würde bald sterben, aber das Flüstern nahm kein Ende. Tum karuna ke saagar Tum palankarta gesegnet seist du Maria voll der Gnade
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