Schiffsdiebe
über den Radscha, der sich in eine Dienerin verliebt. Entweder wir werden reich, oder wir arbeiten uns zu Tode – wenn wir Glück haben. Vielleicht krauchen wir auf den Wracks herum, bis sich unsere Beine entzünden oder dein Papa dir den Schädel einschlägt. Was bleibt uns sonst? Die Organhändler? Die Nagelschuppen? Wir können natürlich auch versuchen, Red Ripper oder Crystal Slide zu verticken, bis Lawson & Carlson uns dann einen Kopf kürzer macht. Mehr bleibt uns ja nicht. Und diese Tusse hier? Die darf wieder das reiche Mädchen spielen.«
Pima schwieg einen Moment lang. » Oder wir kaufen uns frei. Mit all diesem Gold sollte das kein Problem sein.«
Nailer starrte das Mädchen an. Vor ein paar Tagen noch hätte er nicht gezögert, sie umzubringen. Er hätte sie im Stillen um Verzeihung gebeten und ihr dann die Gurgel durchgeschnitten. Möglichst schnell, damit sie nicht unnötig litt – er war nicht wie sein Vater, dem es Spaß machte, anderen wehzutun. Aber er hätte sie trotzdem umgebracht, und dann hätte er ihr das Gold weggenommen und sich davongestohlen. Natürlich hätte sie ihm leidgetan, und wahrscheinlich hätte er sogar dem Plünderergott ein Opfer dargebracht, damit sie im Jenseits vor den Göttern, an die sie glaubte, Gnade fand. Aber sie wäre tot gewesen, und er hätte sich glücklich geschätzt.
Jetzt musste er jedoch an das dunkle, stinkende Ölreservoir denken – daran, wie es gewesen war, bis zum Hals in der glitschigen Flüssigkeit zu schwimmen und zu Sloth hinaufzustarren, zu dem schwachen Lichtschein, den ihre LED -Farbe warf. Wie sehr er gehofft hatte, dass sie ihn da rausholen, dass es ihm gelingen würde, das bisschen Mitgefühl zu wecken, das noch in ihr schlummern mochte – er hatte gewusst, dass da etwas in ihr war, was er erreichen konnte. Dann hätte sie Hilfe geholt, er wäre gerettet und alles wäre gut gewesen.
Wie verzweifelt er sich darum bemüht hatte, zu Sloth durchzudringen!
Aber es war ihm nicht gelungen. Vielleicht war da ja doch nichts in ihr gewesen, was ansprechbar war. Manche Leute kümmerte nur, was ihnen selbst nützte. Leute wie Sloth.
Und sein Vater.
Richard Lopez würde keine Sekunde zögern. Er würde dem reichen Mädchen die Gurgel durchschneiden, ihr die Ringe abnehmen und mit einem Lächeln das Blut von ihnen abschütteln. Vor einer Woche, da war sich Nailer sicher, hätte er genauso gehandelt. Diese vornehme Tusse gehörte nicht zu ihnen. Er war ihr nichts schuldig. Aber jetzt, nach seinen Erlebnissen im Ölreservoir, musste er die ganze Zeit daran denken, wie sehr er sich gewünscht hatte, dass Sloth sein Leben für ebenso wichtig hielt wie das ihre.
Das Gold an den Fingern des Mädchens funkelte verlockend.
Warum stellte er sich nur so an? Nailer hätte am liebsten seine Faust gegen eine Wand gerammt. Warum konnte er nicht einfach tun, was gut für ihn war? Warum hielt er nicht zu Pima und sorgte dafür, dass sie ihre Beute in Sicherheit brachten? Fast konnte Nailer hören, wie sein Vater ihn auslachte. Sich über seine Dummheit lustig machte. Aber als Nailer dem Mädchen in die Augen schaute, hatte er das Gefühl, es wären seine eigenen.
» Tut mir leid, Pima«, sagte er. » Ich kann das einfach nicht. Wir müssen ihr helfen!«
Pimas Schultern sanken herab. » Meinst du das ernst?«
» Yeah.«
» Verdammte Scheiße.« Pima wischte sich über die Augen. » Ich sollte sie trotzdem umbringen. Später wärst du mir dankbar.«
» Bitte nicht. Wir wissen beide, dass das nicht richtig wäre.«
» Richtig? Was ist schon richtig? Schau dir doch das ganze Gold an!«
» Lass sie am Leben.«
Pima zog eine Grimasse und steckte ihr Messer weg. » Vielleicht dürfen wir das Silber ja behalten.«
» Ja. Vielleicht.«
Er bereute seine Entscheidung bereits. All seine Hoffnungen auf eine andere Zukunft lösten sich in Wohlgefallen auf. Morgen würden er und Pima wieder auf den Schiffen arbeiten, und dieses Mädchen würde entweder durchkommen und aus ihrem Leben verschwinden, oder der ganze Rest der Schiffsbrecher von Bright Sands würde auf das Wrack aufmerksam werden und darüber herfallen. So oder so – er würde leer ausgehen. Da hatte er einmal Glück gehabt, und dann machte er nichts daraus.
» Es tut mir leid«, sagte er noch einmal, wobei er sich nicht sicher war, ob er sich bei Pima entschuldigte oder bei sich selbst oder dem Mädchen, das ihn aus großen schwarzen Augen anschaute und die, wenn er wirklich Glück hatte, die Nacht
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