Schiffsdiebe
schwelende Elendsviertel hinter ihnen zurück. Große Häuser, die von kleineren Hütten umlagert waren, säumten Straßen, in denen Bäume Schatten spendeten. In den Eingängen herrschte reger Betrieb. Darüber hingen Schilder, die Nita laut vorlas, wenn sie daran vorbeischritten: Handelshaus Meyer. Fischereibedarf Orleans. Yee & Taylor, Gewürze. Ozeanische Schifffahrtsgesellschaft GmbH.
Und dann verschwand die Straße plötzlich nahtlos in den Wellen. Boote und Flusstaxen waren an Pfeilern festgemacht; Männer saßen auf Ruderbänken, die Riemen oder die Leinen zerschlissener Segel griffbereit in der Hand, und warteten auf Fahrgäste, die sie hinüber nach Orleans bringen konnten.
» Da geht’s nicht mehr weiter«, sagte Nailer.
» Doch.« Nita schaute sich suchend um. » Hier kenne ich mich aus. Wir müssen Orleans durchqueren, um die Tiefseeplattformen zu erreichen, die dahinter liegen. Dafür brauchen wir ein Wassertaxi.«
» Die sehen teuer aus.«
» Hat Pimas Mutter dir nicht Geld gegeben?«, fragte Nita. » Das reicht doch bestimmt.«
Unwillig kramte Nailer das Bündel roter Geldscheine hervor.
» Heb das lieber auf«, sagte Tool. » Sonst wirst du später am Hungertuch nagen.«
Nita sah ihn wütend an. » Wie sollen wir dann zu den Klippern rüberkommen?«
» Zu Fuß«, erwiderte Nailer. Einige Leute wateten in das Wasser hinein, das anscheinend nur hüfthoch war. Sie stapften langsam durch die grüne, ölige Brühe.
Nita biss sich angewidert auf die Unterlippe. » Da kann man nicht laufen. Es ist zu tief.«
» Kauft euch etwas Wasser«, sagte Tool. » Es muss eine Möglichkeit geben, wie die Arbeiter zu den Verladeplattformen gelangen. Die Armen werden uns den Weg weisen.«
Nita stimmte widerwillig zu. Sie kauften bräunliches Wasser bei einem Mann mit gelben, verfaulenden Zähnen und einem breiten Lächeln, der ihnen versicherte, dass es salzfrei und gut abgekocht sei, und nachdem sie bezahlt hatten, wies er ihnen gut gelaunt die Richtung. Er bot ihnen sogar an, sie hinzurudern, aber er verlangte zu viel dafür, und so folgten sie den unter Wasser stehenden Straßen und überquerten schwimmende Planken. Immer wieder wehte es den Gestank von Fisch und Erdöl herbei; Nailer schossen Tränen in die Augen, und er musste an die Arbeit auf den Tankern denken.
Schließlich erreichten sie das Ufer. Eine Reihe von Bojen führte in das ruhige Wasser hinaus. Nita starrte sie missmutig an. » Wir hätten ein Boot nehmen sollen.«
Nailer grinste. » Hast du Angst?«, fragte er.
Sie sah ihn böse an. » Nein«, erwiderte sie, den Blick weiter auf das Wasser gerichtet. » Aber das ist nicht sauber. Die Chemikalien sind giftig.« Sie rümpfte die Nase. » Wer weiß, was da drin ist.«
» Und wenn schon! Das bringt uns erst morgen um, nicht heute.« Nailer watete in die Brühe hinaus, die von einem dünnen Ölfilm bedeckt war. » Besser als bei uns am Strand. Dagegen ist das hier rein gar nichts. Bisher geht’s mir noch ganz gut.« Er schenkte ihr noch ein spöttisches Grinsen. » Komm schon. Wollen doch mal sehen, ob da ein Klipper auf dich wartet.«
Nita presste die Lippen aufeinander und folgte ihm. Nailer hätte sie am liebsten ausgelacht. Wie konnte jemand, der so klug war, so furchtbar zimperlich sein? Er schaute zu, wie sie in die Brühe hineinstapfte – endlich machte sich das Bonzenmädchen auch mal die Finger schmutzig. Tool wiederum ließ sich nicht lange bitten, sondern schritt durch das trübe Wasser wie ein Eisbrecher. Bedächtig setzten sie einen Fuß vor den anderen. Das Wasser wurde immer tiefer und reichte ihnen bald bis zur Brust.
Vor ihnen hatte jemand eine Reihe von Plastikbojen aneinandergeschnürt, um für Leute den Weg zu markieren, die kein Boot hatten. Eine der Bojen war orange, eine andere weiß. Als Nailer an einer vorbeikam, entdeckte er darauf das verblasste Bild eines Apfels zusammen mit einer Buchstabenfolge. In eine andere war ein uraltes Automobil eingestanzt. Der Pfad zwischen den ausrangierten Behältern führte über das letzte versunkene Fundament eines Hauses hinaus. Hier war von den Trümmern nicht mehr viel übrig, und der Pfad ging trotzdem weiter.
Sie wateten vorsichtig durch das Wasser, immer hinter einem ganzen Strom von Menschen her, die sich laufend oder schwimmend vorwärtsmühten. Einmal verlor Nita das Gleichgewicht und tauchte unter. Tool packte sie, zog sie aus dem Wasser und setzte sie wieder auf dem sicheren Weg ab, dem alle anderen folgten.
Nita
Weitere Kostenlose Bücher