Schiffsdiebe
wischte sich lange, nasse Strähnen aus dem Gesicht und starrte zu den vor Anker liegenden Schiffen hinüber. Bis zu ihnen war es noch ganz schön weit. » Warum gibt es dafür nicht einfach Boote?«
» Für diese Leute?« Tool ließ den Blick über ihre Leidensgenossen schweifen. » Die sind es nicht wert.«
» Trotzdem, jemand könnte einen Steg bauen. So viel würde das nicht kosten.«
» Geld für die Armen ausgeben? Da kannst du es genauso gut ins Feuer schmeißen. Sie würden es einfach aufbrauchen und dir nicht mal dafür danken«, sagte Tool.
» Aber wahrscheinlich würde es sogar Geld sparen, wenn die Leute leichter da hinauskämen!«
» Das Wasser scheint sie nicht aufzuhalten.« Womit er recht hatte – vor ihnen wälzte sich ein steter Strom zu den Plattformen hinüber. Manche der Leute hatten ihre Habe in Plastiktüten eingeschlagen, damit sie trocken blieb, aber den meisten schien es nichts auszumachen, durch das braune Wasser und die grünen Algen schwimmen zu müssen. Nita watete mit grimmiger Miene weiter. Offenbar wollte sie nicht zeigen, wie sehr ihr das alles zuwider war, dachte Nailer bei sich.
Jedes Mal, wenn Tool etwas grollte, peitschten seine Worte geradezu schmerzhaft auf Nita ein. Nailer hätte nicht sagen können, warum, aber ihm gefiel es, dass sie in Verlegenheit geriet. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie ihn für wenig mehr als ein Tier hielt, nützlich wie ein Hund, aber kein vollwertiger Mensch. Andererseits war er sich bei ihr da auch nicht so sicher. Die Reichen waren anders. Sie lebten unter völlig anderen Umständen, zerstörten einen ganzen Klipper, um vielleicht das Leben eines einzelnen Mädchens zu retten.
» Warum bist du überhaupt hier, Tool?«, fragte Nita plötzlich. » Eigentlich dürftest du doch gar nicht in der Lage sein, deinen Herrn zu verlassen.«
Tool gönnte ihr nicht mehr als einen kurzen Blick. » Ich gehe, wohin es mir passt.«
» Aber du bist ein Halbmensch!«
» Ein halber Mensch.« Jetzt sah er sie doch länger an. » Und trotzdem doppelt so groß wie du, Schätzchen.«
» Was redest du denn da?«, wollte Nailer wissen.
Nita wies mit einer Kopfbewegung auf Tool. » Eigentlich müsste er einen Herrn haben. Halbmenschen legen einen Schwur ab. Meine Familie importiert sie aus Japan, aber erst nachdem sie ausgebildet worden sind. Und nicht ohne einen Herrn.«
Tools schwelender Blick ruhte lange auf ihr. Gelbe Hundeaugen, die eine Kreatur musterten, die er innerhalb von Sekunden umbringen könnte. » Ich habe keinen Herrn.«
» Das ist unmöglich!«, sagte Nita.
» Warum das?«, fragte Nailer.
» Wir sind dafür bekannt, dass wir unwahrscheinlich treu sind«, erwiderte Tool. » Unser Schätzchen ist enttäuscht, dass wir nicht alle Freude an der Sklaverei finden.«
» Das kann nicht sein«, beharrte Nita. » Ihr werdet darauf trainiert …«
Tool hob die gewaltigen Schultern. » Bei mir haben sie einen Fehler gemacht.« Er lächelte, wie über einen Witz, den nur er kannte. » Ich war klüger, als ihnen lieb ist.«
» Ach ja?«, sagte Nita herausfordernd.
Wieder musterten die gelben Augen sie abschätzig. » Klug genug, um zu wissen, dass ich selbst entscheiden kann, wem ich diene und wen ich verrate. Was mehr ist, als man von vielen anderen … Halbmenschen sagen kann.«
Nailer hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, warum Tool am Strand arbeitete. Er war irgendwann einfach da gewesen, so wie die Bootsflüchtlinge auch. Der Spinoza-Klan und die McCalleys und die Lals hatten sich eines Tages den Arbeitern angeschlossen, und Tool genauso. Jeder musste sich eben seinen Lebensunterhalt verdienen.
Aber Nita hatte natürlich recht. Halbmenschen wurden als Leibwächter eingesetzt, um zu töten, im Krieg. Das hatte er jedenfalls gehört. Er hatte gesehen, wie sie die Bankiers von Lawson & Carlson begleiteten, wie sie sich um die Blutkäufer scharten, die kontrollierten, ob am Strand effektiv gearbeitet wurde. Aber sie hatten sich stets untergeordnet. Den Bonzen. Leuten, die sich solche Kreaturen leisten konnten, diesen genetischen Cocktail aus Mensch, Tiger und Hund, der weiß Gott nicht billig war. Die menschlichen Eizellen, die man für ihre Produktion brauchte, waren sehr gefragt und erzielten Höchstpreise. Der Lebenskult finanzierte sich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus den Eierstöcken seiner Angehörigen, und die Organhändler kauften alles auf, was sie kriegen konnten.
» Wo ist dein Herr dann?«, fragte Nita. » Es heißt,
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