Schiffsdiebe
allmählich dunkel wurde. Arbeiter strömten zu ihren Hütten zurück, und die Garküchen machten gute Geschäfte. Aus den Bars drang Musik – Zydeco und Hochwasserblues. Die Moskitos waren allgegenwärtig.
Nailer ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, froh darüber, dass sie sich im Dunkeln befanden. Er hatte das beunruhigende Gefühl, dass sich sein Vater irgendwo dort draußen herumtrieb – dass sein alter Herr wusste, wo er war, und jeden Moment über ihn herfallen würde. Ihm fiel es schwer, seiner Angst nicht nachzugeben.
» Tool ist spät dran«, sagte Nita.
» Yeah.«
» Meinst du, dein Vater hat ihn erwischt?«
Nailer biss sich wütend auf die Lippen – die Warterei machte ihn verrückt. » Keine Ahnung. Ich geh mal los und schau mich ein wenig um.«
» Ich komme mit.«
» Nein.« Er schüttelte den Kopf. » Du bleibst hier.«
» Einen Teufel werd ich tun! Mich erkennen die auch nicht eher als dich.« Sie ließ sich das lange Haar ins Gesicht fallen – die filzigen Strähnen verbargen sie gut. Die Tage im Sumpf und das brackige Wasser von Orleans hatten ihren seidigen Locken nicht eben gutgetan. » Im Gegenteil!«
Nailer musste zugeben, dass sie damit recht hatte. Sie glich nicht mehr der verwöhnten Göre, die Pima und er aus dem Wrack befreit hatten. Sie war noch immer hübsch – vielleicht das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hatte. Aber sie hatte sich eindeutig verändert. Sie hatte sich ihrer Umgebung angepasst.
» Na gut. Wenn du meinst.«
Sie glitten aus der Haustür ins Wasser und stapften langsam zu den Docks hinüber, auf denen sich noch immer die Leute drängten. Dort angekommen, suchten sie sich einen Platz in dem angrenzenden Sumpfland, kauerten sich nieder und hielten nach Tool und Nailers Vater Ausschau.
Nailer bekam eine Gänsehaut bei der Vorstellung, dass sein Vater plötzlich in einer Position war, einen Haufen von Halbmenschen herumzukommandieren. Tool war schon furchterregend genug, ohne dass ein Mann wie Richard Lopez ihm sagte, was er tun sollte. Nailer fluchte – so kamen sie nicht weiter. Viele Möglichkeiten blieben ihnen nicht. Er hatte wenig Lust, die Loyalität von Nitas Kapitänin auf der Dauntless auf die Probe zu stellen. Aber er wollte auch nicht ewig hier herumhocken und sich fragen, wo Tool abgeblieben war.
Nita sah ihn vielsagend an. » Wünschst du dir manchmal, du hättest mir das Gold von den Fingern gezogen, als du die Gelegenheit dazu hattest?«
Nailer zögerte und schüttelte dann den Kopf. » Nein.« Er grinste. » Jedenfalls nicht in letzter Zeit.«
» Nicht einmal jetzt? Wo dein Vater nach dir sucht?«
Nailer schüttelte noch einmal den Kopf. » Es lohnt nicht, darüber nachzudenken. Vorbei ist vorbei.« Als er ihren gekränkten Blick bemerkte, fügte er hastig hinzu: » Das habe ich nicht gemeint. Ich wollte nicht sagen, dass du ein Fehler bist, mit dem ich leben muss. Jedenfalls ist das nicht alles.« Wieder der gekränkte Blick. Verdammt, jetzt trat er aber auch in jedes Fettnäpfchen. Dabei wusste er nicht einmal, was er eigentlich sagen wollte. » Ich mag dich. Ich würde dich ebenso wenig an meinen Vater verkaufen wie Pima. Du gehörst zu uns, klar?« Er hob seine Hand und deutete auf die frische Narbe, die von ihrem Blutschwur zurückgeblieben war. » Ich blute für dich.«
» Du blutest für mich.« Nita lächelte schwach. » Und du würdest bei der Leichten Kolonne für mich bürgen. Das ist wirklich ein Kompliment, oder?« Sie musterte ihn mit ernstem Blick. » Vielen Dank, Nailer. Für alles. Ich weiß, wenn du mich nicht gerettet hättest …« Sie hielt inne. » Pima war das egal. Für sie war ich nur ein Bonzenmädchen.« Sie strich ihm zärtlich über die Wange. » Vielen Dank.«
In ihren Augen funkelte etwas, das Nailer mit einer kribbelnden Sehnsucht erfüllte. In diesem Moment begriff er, dass er sich nur trauen musste …
Er beugte sich vor. Ihre Lippen berührten sich. Für einen kurzen Augenblick schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seinen Kuss. Dann wich sie sichtlich verwirrt zurück und wandte den Blick ab. Nailers Herz raste. In seinen Ohren rauschte das Blut, so aufgeregt war er. Er hätte jetzt gerne etwas gesagt, etwas Kluges, damit sie ihn wieder ansah, damit er wieder die Verbindung spürte, die eben noch zwischen ihnen bestanden hatte. Aber ihm wollte nichts einfallen.
Nita deutete zur Plattform hinüber. » Da kommt Tool«, sagte sie und räusperte sich. » Vielleicht weiß er etwas
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